Bericht über die brutale Abschiebung von Familie Bulut (11.12.08)
Aus Schilderungen von Ali Bulut (volljähriger Bruder der abgeschobenen Kinder), Anwalt Leineweber, Abschiebebeobachter Vorneweg und Berichten über Telefonate mit den Abgeschobenen
Zur Vorgeschichte:
Familie El Sharif bzw. Bulut ist eine Mahalmi-Familie, die früher im Libanon lebte. Von dort floh sie in die Türkei, später nach Deutschland. Seit etwa 13 Jahren lebt die Familie in Deutschland, die jüngste Tochter Fatma ist in Deutschland geboren.
Es gab seit 2002 Versuche, die Familie in die Türkei abzuschieben. Sie scheiterten an Selbstmordversuchen der Mutter. Beim ersten Abschiebeversuch war der Vater untergetaucht. Die Mutter ist seither alleinerziehend. Sie war zudem an Krebs erkrankt und leidet unter Bluthochdruck. Zur Familie gehören 7 Kinder. Die jüngste ist Fatma mit 12 Jahren. Zwei volljährige Kinder haben ein Bleiberecht (über Heirat bzw. über die jüngste Bleiberechtsregelung für Altfälle). Abgeschoben wurde die kranke Mutter, die bis dahin in regelmäßiger psychiatrischer Therapie war und Psychopharmaka bekam, außerdem blutdrucksenkende Medikamente.
Mit der Mutter wurden 5 Kinder zwischen 12 und 18 Jahren abgeschoben. Die 18-jährige Muene konnte trotz Arbeitsplatzangebot kein Bleiberecht erhalten. Sie hatte bereits in einem Altenheim gearbeitet, dann aber die Arbeitserlaubnis nicht verlängert bekommen. Der libanesische Pass des Vaters, der dem Ausländeramt vorliegt, wurde der Familie nicht wieder ausgehändigt. Die 17-jährige Amira war in der Abschlussklasse der Hauptschule und wurde durch die Abschiebung daran gehindert, einen voraussichtlich sehr ordentlichen Hauptschulabschluss abzulegen. Außer dem 13-jährigen Mohammed sind alle Abgeschobenen weiblich. Türkisch sprechen alle nicht.
Gegen die drohende Abschiebung waren Mitschüler/innen, Lehrer/innen und die Schulleiter der Gnarrenburger Haupt- und Realschule aktiv geworden. Sie hatten sich an die Härtefallkommission gewandt. Der Antrag wurde aber nicht angenommen wegen des Abschiebetermins. Eine schon früher eingereichte Petition war wegen des noch laufenden Gerichtsverfahrens noch nicht behandelt worden.
Vor der Abschiebung war Frau Bulut zum Gesundheitsamt geladen worden. Dort war zuerst nur ein kurdischer Dolmetscher da, mit dem sich Frau Bulut nicht verständigen konnte, da sie arabisch und nicht kurdisch spricht. Daraufhin wurde eine arabischsprachige Frau zum Übersetzen dazugeholt (keine offizielle Dolmetscherin). Das Gesundheitsamt hatte sich die ganze Zeit über (4 Jahre) nie die Akte von Frau Bulut von deren Psychiater schicken lassen.
Wegen der drohenden Abschiebung hatte der Anwalt einen Eilantrag für die Mutter gestellt, begründet mit der gesundheitlichen Gefahr. Die Ablehnung dieses Eilantrages war am Dienstag, dem 23.9., nach 16 Uhr dem Rechtsanwalt Leineweber zugefaxt worden. Um offiziell als zugestellt zu gelten, hätte der Empfang durch eine Unterschrift des Anwaltes bestätigt werden müssen. Da sowohl der Anwalt als auch seine Sekretärin an diesem Tag erkrankt waren, war dies nicht möglich. Damit war das Schreiben bis zur Abschiebung offiziell nicht zugestellt und damit nicht rechtskräftig. Der Anwalt hatte keine Chance, gegen die Entscheidung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einzulegen.
Ein weiterer Eilantrag, der sich auf die Rechte der Kinder (Schulbesuch, Rücksicht auf ihre Bindungen in Deutschland …) bezog, war noch gar nicht entschieden. Die Kinder hätten deshalb gar nicht abgeschoben werden dürfen (und infolge dessen auch die Mutter nicht). Inzwischen wurde dieser Eilantrag abgelehnt, mit der Begründung, dass die Kinder schon abgeschoben seien.
Die Familie ging davon aus, dass sie wegen der aufschiebenden Wirkung des Eilantrages noch Schutz vor einer Abschiebung genieße. In der Nacht von Dienstag, dem 23.9., auf Mittwoch, dem 24.9., zwischen 3 und 4 Uhr hörten sie, dass sich jemand gewaltsam an ihrer verschlossenen Haustür zu schaffen machte. Die Kinder dachten an Einbrecher. Die Situation muss zusätzlich beängstigend gewesen sein, da es in der Umgebung schon zu Vorfällen gekommen war, bei denen bewaffnete Rechtsextreme in die Wohnungen von Ausländern eingedrungen waren. Die Polizei klingelte nicht, klopfte nicht an, sondern versuchte gleich, das Schloss aufzubohren. Da ein Riegel vorgeschoben war, kamen sie so nicht weiter. Der Türgriff wurde abgesägt. Mit einem Rammbock ist schließlich die Tür aufgebrochen worden. Auf dem Boden lagen Glassplitter. Polizisten sind hereingestürmt und fesselten die Mutter an Händen und Füßen (Sie blieb bis zum Flughafen gefesselt). Mutter und Kinder durften sich nicht anziehen und selbst ihre Sachen packen. Nur der Junge, Mohammed, der gerade dabei war, seine Hose anzuziehen, durfte sich noch fertig anziehen. Die anderen mussten in Schlafanzug und T-Shirt, teilweise barfuß, das Haus verlassen. Die Polizeibeamten packten einige Kleider in Tüten. Die Tüten wurden ihnen aber nicht ausgehändigt. Geld und Handy konnten die Familienmitglieder nicht mitnehmen. Die Psychopharmaka, die die Mutter regelmäßig einnahm, blieb zuhause liegen. Als die Mutter hinausgeführt wurde, bekam sie ein Tuch vor den Mund gepresst, so dass sie kaum Luft bekam. Sie verlor das Bewusstsein (etwa eine Stunde lang?), vermutlich infolge eines Betäubungsmittels. Erst als das Fahrzeug tanken musste, kam sie wieder zu sich. Sie fühlte sich sehr schwach, nicht wie vorher, und musste beim Gehen gestützt werden. Die Mutter wurde ohne die Kinder mit einem Krankenwagen wegtransportiert (bis zum Flughafen Düsseldorf?). Im Krankenwagen erhielt sie 3 Stück von ihren Tabletten gegen erhöhten Blutdruck. Die anderen nahm man ihr weg. Sie wurden auch später nicht wieder ausgehändigt. Bis zum Flughafen blieb sie gefesselt. Beim Flughafen gab man ihr nach heftigem Protest endlich einen Rock zum Überziehen über die Halbshorts, die sie zum Schlafen angehabt hatte.
Die Kinder wurden ohne Mutter im Polizeiwagen transportiert. Der 14-jährigen Zekie wurde gedroht, sie bekäme eine Spritze, wenn sie nicht aufhöre zu weinen und zu schreien. Die jüngste, Fatma (12 Jahre), war so geschockt, dass sie erst im Flugzeug wieder ansprechbar war. Vorher reagierte sie nicht, wenn ihre Geschwister mit ihr sprachen. Bis heute (über 2 Monate nach der Abschiebung) ist ihr Verhalten im Vergleich zu früher stark verändert. Sie bleibt immer im Haus bei der Mutter, will niemanden kennenlernen und redet kaum.
Am Flughafen in Düsseldorf wurde die Familie vom Abschiebebeobachter Joachim Vorneweg beobachtet. Dort sollte eine Sammelabschiebung mit einem von der Bundespolizei gecharterten Flugzeug stattfinden. Die Kinder wurden nicht zu den anderen, die an diesem Tag abgeschoben wurden, in die Wartehalle gebracht, sondern in einem Polizei-Bus beim Rollfeld festgehalten. Sie durften auch nicht telefonieren. Für den Abschiebebeobachter war es so schwierig, überhaupt mitzubekommen, dass diese Flüchtlinge angekommen waren und Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Die Kinder waren allein angekommen und wirkten verstört. Sie wussten die Situation nicht einzuordnen. Offenbar hatte ihnen auch bei der Fahrt keiner die Situation erklärt. Die Mutter kam etwas später dazu. Sie hatte gerötete Handgelenke.
Bis zum Abflug gegen 12.30 Uhr wurde die Familie im Bus festgehalten (knapp 2 Stunden).
Die in Osterholz lebenden Angehörigen der Familie wurden von Nachbarn der Familie Bulut darüber informiert, dass bei ihrer Mutter und Geschwistern Polizei einbricht. Daraufhin fuhr Ali (Sohn der Abgeschobenen) nach Karlshöfen. Er fand die Wohnung leer vor. Auch auf Nachfrage bei Polizei und Ausländeramt erhielten die Angehörigen keine Auskunft, wo sich ihre Familie befand, wohin sie gebracht werden soll und wohin sie abgeschoben werden.
In Istanbul standen die Buluts dann weinend auf dem Flughafen. Von einer ärztlichen Betreuung während des Fluges und 24 Stunden danach (laut Entscheidung zum Eilantrag Bedingung für die Zulässigkeit der Abschiebung der Suizidgefährdeten) merkte die Familie nichts. Frau Bulut wusste nichts davon, dass ein Arzt im Flugzeug dabeigewesen sein soll.
Glücklicherweise wurde sie von einer Familie aus Izmir, die aus dem Urlaub zurückkam, angesprochen. Der Sohn der Familie sprach deutsch. Diese Familie nahm sich der Buluts an. Dort lebte die Familie bis Ende November. Die 6 Personen mußten sich 2 Matratzen teilen.
Ihre Medikamente hat Frau Bulut erst im November erhalten. Freunde aus Gnarrenburg hatten die Medikamente für sie besorgt und nachgeschickt. Das Paket wurde aber erst nach Wochen ausgehändigt, weil die Medikamente für Drogen gehalten worden waren.
Erst durch Spenden aus Gnarrenburg hat die Familie Bulut kürzlich etwas Geld erhalten. Damit hat sie jetzt eine Zwei-Zimmer-Wohnung angemietet. Die erste Miete konnte mit der Spende bezahlt werden. Es ist immer noch völlig ungeklärt, wovon die Familie leben soll und wie die Kinder die Schule besuchen sollen, da sie kein türkisch sprechen. Ohne die zufällige Hilfe der Familie aus Izmir hätten die Frauen und Mädchen in Istanbul auf der Straße nächtigen müssen. Angehörige in der Türkei gibt es keine, nur in Deutschland.