[oury jalloh] PRO ASYL zieht nach 22 Monaten und 58 Prozesstagen Bilanz - PM 5.12.08
Gericht mit Aufklärung des qualvollen Verbrennungstods von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam gescheitert !
Brandursache und Verantwortlichkeiten weiter ungeklärt
I. Vorgeschichte
Prozess unter internationaler Beobachtung: Vor dem Landgericht Dessau geht nach 22 Monaten und 60 Verhandlungstagen ein international aufsehenerregendes Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte zu Ende, denen die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage vorwirft, für den grausamen Verbrennungstod des schwarzen Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich zu sein. Der unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen stattfindende Prozess hatte im März 2007 begonnen und stand in der Anfangsphase - auf Betreiben der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" - unter Beobachtung einer internationalen Delegation von Menschenrechtlern, Anwälten, Wissenschaftlern und Schriftstellern aus Frankreich, Großbritannien, Südafrika und Deutschland. Die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" ist im Sommer 2008 unter Protest aus der Prozessbeobachtung ausgestiegen. Sie geht davon aus, dass es sich bei dem Verbrennungstod nicht lediglich um bloße Nachlässigkeit, sondern um Mord durch die Polizei handele: Der bisherige Verlauf des Strafprozesses habe gezeigt, dass dieser Todesfall nicht rückhaltlos aufgeklärt werde; der Prozess sei eine Farce, ein Scheinprozess, weil in ihm die wesentlichen Fragen, die zur Aufklärung des Mordes an Oury J. hätten führen können, gar nicht erst gestellt worden seien und der rassistische Kontext vollkommen ausgeblendet werde; diese Alibiveranstaltung diene nur dazu, der demokratischen Öffentlichkeit Aufklärungswillen zu demonstrieren und den rechtsstaatlichen Schein zu wahren.
Zum Ende des Verfahrens am 8. Dezember 2008 (Urteilsverkündung) zieht die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL (Frankfurt/M.), die diesen Strafprozess durch RA Dr. Rolf Gössner beobachten ließ, eine kritische Bilanz.
Zur Erinnerung: Am 7. Januar 2005 hatten Dessauer Polizisten den Bürgerkriegsflüchtling Oury Jalloh aus Sierra Leone aufgegriffen, weil er Reinigungskräfte auf der Straße belästigt haben soll. Jalloh war betrunken, wehrte sich gegen seine Festnahme und wurde daraufhin in Gewahrsam des Dessauer Polizeireviers genommen. Nach gründlicher Durchsuchung fesselten ihn die Polizisten, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer Matratze in der Arrestzelle Nr. 5 an Händen und Füßen und ließen ihn stundenlang allein im Zellentrakt des Polizeikellers zurück – unterbrochen nur durch gelegentliche Kontrollgänge. Diese Prozedur diente angeblich dazu, eine „Selbstgefährdung“ zu verhindern und in Ruhe seine Identität überprüfen zu können – obwohl er auf dem Polizeirevier bereits bekannt war. In der rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte Oury J. auf der feuerfesten Matratze bei lebendigem Leib. Angebliche Todesursache: Hitzeschock. Unbekannt ist, wer die Matratze entzündete und wie der Brand entstand – diese Umstände sollte das gerichtliche Verfahren klären. Trotz Alarmzeichen des Brandmelders und trotz der Hilferufe, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, sollen die wachhabenden Beamten nicht rechtzeitig reagiert haben. Ein Gutachten vom Juli 2006 stellte schon vor der mündlichen Verhandlung fest: Hätten die Polizeibeamten sofort reagiert, hätte Oury J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet werden können. Auch diese Frage hatte das Gericht zu klären.
Die Anklage: Bei ihren Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft, vertreten von Oberstaatsanwalt Christian Preissner, von Anfang an gravierende Widersprüche ignoriert, sich schon frühzeitig auf die Version einer Selbstanzündung Oury Jallohs festgelegt und damit die Einlassung der Angeklagten übernommen. Einem der angeklagten Polizisten, Hans-Ulrich M., wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor: Bei der Durchsuchung von Oury J. habe er ein Feuerzeug übersehen, mit dem der total Fixierte später das Feuer selbst gelegt haben soll. Dem Hauptangeklagten, Polizei-Dienstgruppenleiter Andreas Sch., der für den gesamten Gewahrsamsbereich, für die lebensgefährliche Fixierung und die Kontrollgänge die Verantwortung trug, wirft die Staatsanwaltschaft (gefährliche) Körperverletzung mit Todesfolge vor, ebenfalls durch Unterlassen: Er habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und erst auf Drängen einer Kollegin die Zelle aufgesucht.
Die Nebenklage: Die Anwälte der Nebenklage, Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix Isensee, vertreten Mutter, Vater und Bruder des Todesopfers. Sie hatten die Aufgabe, zur Aufklärung des Todesfalles beizutragen. Tatsächlich spielten sie an der Seite der Staatsanwaltschaft, aber unabhängig von ihr, mit ihren Interventionen und beharrlichen Nachfragen eine zentrale Rolle in diesem Strafverfahren (wobei sie skandalöse Polizeistrukturen und Lügenkonstrukte aufdecken, allerdings den eigentlichen Kern des Falles auch nicht aufhellen konnten).
Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Dessau unter Vorsitz von Richter Manfred Steinhoff hatte im Verlaufe des Prozesses drängende Fragen zu klären – Fragen, die allerdings nur zum Teil mit der gebührenden Intensität behandelt wurden:
- Sind Fesselung und Fixierung eines Betrunkenen (mit fast drei Promille) an allen Gliedmaßen in einer Polizeizelle mit der Menschenwürde und dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar und sind sie – auch im strafrechtlichen Sinne – verantwortbar, wenn der Fixierte über Stunden ohne ständige Aufsicht und medizinische Betreuung bleibt?
- Wie sind die – erst bei einer zweiten Obduktion - festgestellten Verletzungen an Nase und Ohr zustande gekommen – ist Oury Jalloh vor seinem Tod womöglich misshandelt worden?
- Wie gelangte ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung von Oury J., in die Todeszelle und warum wurden Reste davon so spät gefunden?
- Wie kann ein mit fast drei Promille stark alkoholisierter, an Händen und Füßen fixierter Mensch ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und eine Matratze mit feuerfester Ummantelung anzünden, wie es die Anklage unterstellt?
- Wie kann eine (angebliche) Selbstverbrennung im Polizeigewahrsam – praktisch unter den Augen der Polizei - passieren? Hat einer der Angeklagten nicht rechtzeitig auf den Brandmelder reagiert und aus welchen Gründen? Hätte also durch rechtzeitiges Reagieren der Tod von Oury Jalloh noch verhindert werden können?
- War es Selbstanzündung, wie die Anklage behauptet, oder war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, wie etwa die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" mutmaßt und worauf gewisse Umgereimtheiten und Umstände hindeuten könnten?