Aufruf zum Aktionstag Flucht & Migration und zur Demonstration am 4. Juni 2007 in Rostock
Für Globale Bewegungsfreiheit und Gleiche Rechte für Alle!
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!"
Aufruf zum Aktionstag Flucht und Migration in Rostock
im Rahmen der Protestwoche gegen den G8-Gipfel
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Bewegungen und Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen verstärken sich überall auf der Welt. In San Diego oder Ceuta werden Grenzen unterlaufen, in Los Angeles oder Brüssel wird Legalisierung eingefordert, in Hamburg oder Bamako gegen Abschiebungen gekämpft, in London oder Woomera in Abschiebeknästen rebelliert, in El Ejido oder Seoul sich gegen prekäre Arbeitsverhältnisse gewehrt... niemand kann mehr die globale Dimension und wachsende Bedeutung von migrantischen und Flüchtlingskämpfen ignorieren. Diese Kämpfe sind sowohl eine Reaktion auf die massive Ausplünderung und fortgesetzten Verwüstungen im globalen Süden wie auch der Anspruch auf weltweit geltende gleiche soziale Rechte.
Globale Apartheid
Kapitalismus im 21. Jahrhundert ist ohne globales Ausbeutungsgefälle nicht zu denken. Zunehmender Konkurrenzdruck verschärft weltweit die Auseinandersetzungen um Lohn und Arbeitsbedingungen, ganz zu schweigen von denen, die gar keine Arbeit finden. Auch kommt es immer stärker zur Auslagerung von Arbeitsprozessen in so genannte Billiglohnländer oder freie Exportzonen, die oft nicht zufällig in direkter Grenznähe liegen (Maquiladores). Umgekehrt gibt es mehr und mehr Menschen, die sich auf den Weg machen und dorthin wandern, wo es (besser bezahlte) Arbeit gibt. Das kann im Süden sein, aber auch in den reichen Industrieländern. Viele schaffen es nur als temporäre Saisonarbeiter/innen oder als Illegale. Denn rassistische Ein- und Ausschlüsse sorgen dafür, dass die Zonen völliger Armut und die Zonen des Reichtums streng geschieden bleiben bzw. nur nach ganz bestimmten Kriterien durchlässig sind, ob an der us-amerikanisch-mexikanischen Grenze, an der Grenze zwischen Europa und Nordafrika oder in Megacities wie Bombay oder Lagos, wo Reichtum und Armut unmittelbar nebeneinander existieren. Es sind die G-8-Regierungen, die zusammen mit transnationalen Konzernen und internationalen Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank dieses globale Apartheidregime nicht nur aufrechterhalten sondern ständig weiterentwickeln und vertiefen.
Globale Ausbeutung
Die G8 sind für Ausbeutungsstrukturen verantwortlich, die insbesondere im globalen Süden zu mörderischen Verhältnissen führen. "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört". Der von Flüchtlingsorganisationen kreierte Slogan richtet sich gegen die ganze Palette neokolonialer Strategien: gegen eine Schuldenpolitik, mit der über sogenannte Strukturanpassungsprogramme Preiserhöhungen und Privatisierungen erzwungen werden; gegen die Zerstörung lokaler Ökonomien, die immer weitere Verarmung nach sich zieht; gegen die Ausplünderung der Ressourcen; und nicht zuletzt gegen die direkte oder indirekte Unterstützung von Dikaturen und Warlords.
Vorverlagerte Migrationskontrolle
Doch die G8 und die genannten Herrschenden sind nicht nur für die Zerstörungen im Süden verantwortlich. Die militarisierten Grenzen zwischen Mexico und den USA oder Afrika und Europa führen zu Tausenden einkalkulierter Todesfälle. Sogenannte Entwicklungshilfe und finanzielle Unterstützung verschuldeter und damit erpressbarer Regierungen werden daran geknüpft, dass sie sogenannten Rückübernahmeabkommen zustimmen und die Migrationskontrolle bereits in den Transit- und sogar Herkunftsländern übernehmen. Die Vorverlagerung von Lagern sowie Razzien und Abschiebungen werden zunehmend zu Schlüsselelementen eines globalisierten Migrationsregimes.
Auslese und Rassismus im Norden
Die tödlichen Grenzen fungieren bereits als (Auslese)Filter, nur die "Fittesten" sollen durchkommen. Und jedes Jahr werden zehntausende Menschen allein aus Europa abgeschoben, während sich zahllose MigrantInnen und Flüchtlinge als Illegalisierte durchschlagen müssen oder völlig rechtlos in Lagern einer rassistischen Verwaltung ausgeliefert sind, die vor allem auf Abschreckung zielt. Die Herrschenden sprechen nicht zufällig von "Migrationsmanagement", wenn sie diese Formen der Ausgrenzung mit der Rekrutierung billiger Arbeitskräfte kombinieren, deren Ausbeutung sich unter völlig entgarantierten Bedingungen vollzieht. Aufenthaltsrechte werden an den Arbeitsplatz gekoppelt, Illegalisierung und Abschiebung von MigrantInnen dienen als Mittel der Erpressung. Weltweit findet ein Prozess der Auslese und rassistischen Hierarchisierung statt, indem verschiedenen MigrantInnengruppen jeweils abgestuft soziale und politische Rechte verweigert werden. Das nennen wir moderne Apartheid, und dieser Prozess erfolgt nicht zuletzt entlang der Bedürfnisse der nördlichen Arbeitsmärkte. Denn Schwitzbuden und Baustellen, Landwirtschaft und Haushalte sind auf billige, flexible und vor allem fügsame ArbeitsmigrantInnen angewiesen. Und im kapitalistischen Interesse, Niedriglohnjobs überallhin auszuweiten, konkurrieren MigrantInnen und Wanderarbeiter mit den jeweiligen ansässigen Einwohnern. Nicht nur Flüchlinge und MigrantInnen sind von der Verweigerung von Rechten betroffen, sondern auch ihre Kinder und Enkel. Sei es in Deutschland, Frankreich oder in den USA, überall ist sogar die zweite und dritte Generation von systematischer Diskriminierung betroffen: auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Bildungssystem oder beim Wahlrecht. Und alle sind in Gefahr, Opfer von rassistischen Übergriffen zu werden, sei es durch Faschisten oder sei es durch die Polizei. Diese Bedrohungen und Benachteiligungen sind einerseits Ausdruck von Xenophobie und Rassismus, andererseits dienen sie der immer komplexeren Hierarchisierung des Ausbeutungsgefüges.
Transnationale Bewegung
Migrantische und Flüchtlingskämpfe durchkreuzen und bekämpfen das System einer neuen globalen Apartheid, indem sie direkt oder indirekt die Forderungen nach globaler Bewegungsfreiheit und gleichen sozialen Rechten in den Mittelpunkt rücken. Und sie eröffnen die Möglichkeit einer transnationalen Perspektive, die sich gleichermaßen gegen die Ausbeutung und Unterdrückungen im Süden wie im Norden richten muss. Wir bestreiten nicht die Unterschiede in den Realitäten und Kämpfen in den jeweiligen Regionen, Ländern und Kontinenten. Oder die Interessensunterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen, sei es zwischen den temporären und den dauerhaften MigrantInnen, oder zwischen prekär beschäftigten "Staatsbürgern" und illegalisierten "Fremden". Aber wir sind überzeugt von der Notwendigkeit, diese Differenzen zu überbrücken und zu kommunizieren - indem wir auch diese Grenzen überschreiten und nicht zuletzt die Mauern in den Köpfen überwinden. Wir suchen die Verbindung zu anderen sozialen Bewegungen, zu progressiven Kräften in Gewerkschaften und anderen Institutionen, die sich gemeinsam mit uns gegen soziale und politische Ungleichheit und Entrechtung einsetzen. Auch deswegen beteiligen wir uns an den Aktionen gegen den G8-Gipfel. Wir zielen auf einen Prozess des "Gemeinsam-Werdens", indem wir gegen das gleiche Apartheid- und Migrationsregime und für globale soziale Rechte kämpfen.
Globale Bewegungsfreiheit ...
... war bereits der wichtigste Slogan der migrationsbezogenen Grossdemonstration während der Anti-G8-Mobilisierung in Genua 2001. Gleichermaßen lautete auch jeweils das Motto der transnationalen Aktionstage in den vergangenen 3 Jahren, zuletzt am 7. Oktober 2006. Und globale Bewegungsfreiheit taucht als zentrale Forderung auf den Sozialforen und Konferenzen in Bamako, Athen und Rabat 2006 auf sowie in Nairobi dieses Jahr. Globale Bewegungsfreiheit ist ein "fundamentales Recht und eine Vorbedingung für andere fundamentale Rechte" (Deklaration von Rabat). Sie ist eine entscheidende Herausforderung für ein Ausbeutungsgefüge, das selbst grenzenlos ist, während es mehr und mehr äußere wie innere Grenzen konstruiert. Erneut rufen wir somit unter dem Motto "Für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für Alle" zu einem transnationalen Aktionstag am 4. Juni 2007 auf, im Rahmen der kommenden Mobilisierung gegen den G8.
Aktionswoche gegen den G8
Vom 2. bis 8. Juni wird eine ganze Aktionswoche in und bei Rostock und Heiligendamm stattfinden, um gegen den G8-Gipfel zu protestieren: mit Demonstrationen und Kundgebungen, mit Blockaden und direkten Aktionen, mit Camps und Konferenzen, die von verschiedenen sozialen Bewegungen getragen werden. Als migrationsbezogene Gruppen und befreundete Netzwerke verstehen wir uns als Teil dieser Gesamtmobilisierung und werden uns z.B. an der Auftakt-Grossdemonstration am 2. Juni mit einem eigenen Block beteiligen. Für 3. Juni bereiten wir ein eigenes transnationales Netzwerktreffen vor und am 4. Juni, einen Tag vor Beginn der Blockaden gegen den G8-Gipfel, wollen wir unseren Forderungen eine besondere Aufmerksamkeit verschaffen, indem wir einen eigenen Aktionstag mit anschließender Demonstration durchführen. Wir laden alle und insbesondere die migrationsbezogenen Netzwerke und Organisationen auf der ganzen Welt ein, sich an dem Aktionstag bzw. an der Gesamtmobilisierung zu beteiligen und soweit möglich einzelne Delegierte zu schicken. Wir wissen aber, dass viele, die gerne kommen würden, es aus verschiedenen Gründen nicht können: seien es finanzielle oder politische Hindernisse, oder die Unmöglichkeit ein Visum zu bekommen. Wir erklären hiermit unsere ausdrückliche Solidarität mit allen Menschen, die dort, wo sie leben oder sich gerade befinden, im Juni dezentrale Proteste organisieren. Lasst uns den Herrschenden, die sich in Heiligendamm zu ihrem Gipfel treffen, mit aller Entschiedenheit zeigen, dass wir uns auf der ganzen Welt gegen ihre Politik der Ausgrenzung und Ausbeutung wehren. Lasst uns dem transnationalen Charakter der Bewegungen und Kämpfe der Flüchtlinge und MigrantInnen in diesen Tagen im Juni einen starken Ausdruck verschaffen.
ErstunterzeichnerInnen:
NoLager Mecklenburg-Vorpommern; Antirassistische Initiative Rostock; Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB); African Conference Forum (ACF); Flüchtlingsrat Hamburg; AntiLager-Gruppe Hamburg; NoLager Bremen; Jugendliche ohne Grenzen (JOG) Brandenburg; Antirassistische Initiative (ARI) Berlin; Antirassismusplenum Göttingen; Papiere für Alle - Göttingen; Initiative gegen Rassismus und Ausgrenzung - Dortmund; kein mensch ist illegal - Hanau; Attac AG Globalisierung und Migration; Flüchtlingsrat Bayern; Antirassistische Aktion Augsburg; Bürengruppe Paderborn; Initiative gegen das Chipkartensystem - Berlin; Rasthaus Freiburg; LabourNet Germany; Aktionsbündnis Sozialproteste; kein mensch ist illegal Hamburg; Aktionsbündnis gegen Abschiebungen - Rhein/Main; Initiative gegen Abschiebung Frankfurt; ZAG - Berlin; Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim; Sozialistische Jugend - Die Falken LV Berlin; FELS - Berlin; Interventionistische Linke; Karawanegruppe München; Initiative gegen Abschiebehaft Berlin; Bürp für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin; Birat e.V. Bremen, kein mensch ist illegal Köln