1.2.07// Taz: Bleiberecht ist zäher als gedacht - Umsetzung der Bleiberechtsregelung in Norddeutschland
Bleiberecht ist zäher als gedacht
Wie steht es um die Chancen von Flüchtlingen, in Deutschland
zu bleiben? Mehr als zwei Monate nach dem Kompromiss der
Innenminister zeigt sich: Die Hürden sind hoch und der Weg vom
Antrag bis zur Arbeitserlaubnis ist lang
VON ESTHER GEISSLINGER,
KAI SCHÖNEBERG
und DANIEL WIESE
Die Hoffnungen waren groß, als sich die Innenminister der Länder im
November auf eine Bleiberechtslösung für die langjährig in Deutschland
geduldeten Ausländer geeinigt hatten. Die Realität ist ernüchternd,
sogar "demoralisierend", sagt Kai Weber vom Niedersächsischen
Flüchtlingsrat. "Wir hatten optimistisch gehofft, dass rund 20 Prozent
der Geduldeten unter die neue Regelung fallen", sagt Weber. "Tatsächlich
sind es wohl nur fünf." Das wären in Niedersachsen rund 1.000
Flüchtlinge, die ein Aufenthaltsrecht bekommen. Offizielle Zahlen will
das Innenministerium erst Mitte Februar vorlegen.
Gestern traf sich Weber in Hannover mit in der Flüchtlingsarbeit tätigen
Sozialarbeitern zu einem ersten Erfahrungsaustausch über die neue
Regelung. "Mit desaströsen Ergebnissen", sagt der Experte: Vier von fünf
Geduldeten scheiterten bereits daran, dass sie keinen Pass vorlegen
könnten. In Niedersachsen fielen vor allem Familien mit Kindern durch
das Raster. Der Grund: Väter oder Mütter müssen mit ihrem neuen Job so
viel Geld verdienen, wie ihnen theoretisch durch staatliche Beihilfen
zustünde; nur das Kindergeld, dass den Flüchtlingen ohnehin zusteht,
wird akzeptiert. "Das heißt, dass Eltern einen Verdienst von in etwa
1.800 bis 2.000 Euro netto vorweisen müssen - wer schafft das schon?",
fragt Weber. Auch kriegsversehrte, alte oder behinderte Flüchtlinge
haben wenig Aussichten, in Deutschland bleiben zu können: Sie müssen
eine Krankenversicherung vorweisen. Wer die Versicherung selbst tragen
muss, zahlt leicht über 1.000 Euro.
Bei den Arbeitsagenturen gibt es bislang kaum Rückmeldungen: "Wir haben
eine ganz geringe Zahl von einzelnen Ausländern, die sich hier
arbeitssuchend gemeldet haben", sagt der Sprecher der Regionaldirektion
Niedersachsen-Bremen, Michael Köster. Eine Anfrage in größeren Agenturen
hat ergeben, dass in Braunschweig und Hannover derzeit je fünf
Flüchtlinge nach Arbeit suchen, in Goslar sind es demnach 15.
Im Hamburg werden die genauen Zahlen erst heute von der Innenbehörde
bekannt gegeben, der Pressesprecher wollte vorab noch nichts verraten.
Bereits Anfang Januar hatten allerdings über 900 der etwa 11.000 in der
Stadt lebenden Flüchtlinge Bleiberechts-Anträge gestellt. Nach
Informationen der kirchlichen Beratungsstelle "Fluchtpunkt" wollen
inzwischen "weit über 1.000 Menschen" das neue Recht in Anspruch nehmen.
Allerdings spiele die Ausländerbehörde nicht recht mit, berichtet
Fluchtpunkt-Mitarbeiterin Anne Harms: Wochenlang würden die Anträge
nicht bearbeitet, nur ein Bruchteil sei bisher bei der Arbeitsagentur
eingegangen, die die Arbeitserlaubnis erteilen muss. "Wir haben den
Eindruck, dass einzelne Abteilungen der Ausländerbehörde die
Bleiberechtsregelung unterlaufen", sagt Harms.
In Schleswig-Holstein hat sich dagegen durch die Neuregelung bislang
nicht viel verändert, so lautet das Ergebnis einer Tagung des
"Bündnisses Bleiberecht". Martin Link vom Flüchtlingsrat
Schleswig-Holstein sagt: "Wir analysieren noch." Anders als in Hamburg
werden geduldete Ausländer im hohen Norden nicht angeschrieben - wer
meint, von der neuen Regelung zu profitieren, der muss selbst zur
Behörde gehen.
"Die Regelungen der Innenminister haben keine umfassende Befriedung der
Rechtslage gebracht", sagt Dirk Gärtner vom Kieler Innenministerium -
"das war auch nicht gewollt." Sorgen bereitet ihm, dass Niedersachsen
sich dafür stark macht, die Regelungen der Innenminister nicht in ein
Gesetz einfließen zu lassen. Dass "die Kuh Kettenduldung nicht vom Eis"
sei, befürchtet daher Martin Link vom Flüchtlingsrat: "Es werden täglich
neue Kälber geboren", sagt er.
Allerdings scheinen in Schleswig-Holstein ohnehin nicht allzu viele
Menschen unter die neue Bleiberechtsregelung zu fallen. "Einige
Ausländerbehörden haben ihre Fälle analysiert und festgestellt, dass nur
wenige betroffen sind", sagt Ministeriumssprecher Gärtner. Der Grund
könne sein, dass das Land schon immer mutiger als andere Länder die
Härtefallklausel angewandt habe.
taz Nord Nr. 8190 vom 1.2.2007, Seite 21, 141 TAZ-Bericht ESTHER
GEISSLINGER / KAI SCHÖNEBERG / DANIEL WIESE