Versuchte Abschiebung aus Witzenhausen und brutale Polizeigewalt gegen friedlichen Widerstand
Unten findet ihr die Pressemitteilungen von AK Asyl Göttingen, AK Asyl Witzenhausen und von RA Sven Adam-------------------Versuchte Abschiebung aus Witzenhausen und brutale Polizeigewalt gegen friedlichen Widerstand – eine Stellungnahme & Solidaritätsbekundung des AK Asyl Göttingen –
In der Nacht von Sonntag auf Montag, den 23.04.2018, versuchten Polizeibeamt_innen einen 27jährigen syrischen Mann gegen 1 Uhr nachts aus seiner WG in Witzenhausen nach Bulgarien abzuschieben. Anschließend griffen die Einsatzkräfte eine Blockade von etwa 60 solidarischen Menschen brutal an.
Während der Widerstand gegen diese im übrigen rechtswidrige Abschiebung friedlich blieb, attackierten die Einsatzkräfte die Protestierenden mit Pfefferspray aus nächster Nähe, schlugen mit Schlagstöcken auf sie ein und ließen einen Hund auf die Gruppe los. Die Folgen dieser massiven Polizeigewalt sind mindestens 25 teilweise schwer verletzte und vermutlich einige durch die Geschehnisse traumatisierte Menschen. Vier Krankenwägen mussten eingesetzt werden und es wurde dieser Einsatz sogar als Massenanfall von Verletzten (MANV) gemeldet. Während all das absurderweise nach dem „Wochenende der Toleranz“ in Witzenhausen passierte, fehlte dazu noch die rechtliche Grundlage für die Abschiebung. Es war quasi ein „Fehler“ der Behörden – jedoch mit harten Konsequenzen für den Betroffenen und seine Verbündeten.
Das Verwaltungsgericht Kassel hatte bereits vor einem Jahr geurteilt, dass der Betroffene aufgrund der schlechten Bedingungen nicht nach Bulgarien abgeschoben werden darf. Wir beobachten eine starke Zunahme staatlicher Repressionen sowie von polizeilichen Angriffen auf friedliche Proteste und Aktionen. Das alles fügt sich ein in die derzeitigen Entwicklungen permanenter Verschärfungen in Asyl- und Polizeigesetzen. Während Rechte von Geflüchteten immer weiter eingeschränkt werden, weiten sich die Befugnisse deutscher Polizist_innen immer mehr aus. Das kommende neue bayrische Polizeigesetz soll das härteste seit 1945 sein.
Zwar ist Polizeigewalt im Kontext linker Bewegung und Widerstand nichts Neues; dennoch wird immer deutlicher, welches Ausmaß sie annehmen kann. So scheinen Polizist_innen zunehmend hemmungslos zu werden, wenn es um das brutale Zerschlagen von Widerstand geht – insbesondere im antirassistischen und antifaschistischen Spektrum: Erinnern wir uns an die mutige Massenblockade in Nürnberg im Mai 2017 um die Abschiebung eines Mitschülers nach Afghanistan zu verhindern, bei der zahlreiche solidarische Schüler_innen durch eskalative Polizeigewalt verletzt wurden. Ähnliches ereignete sich vor einigen Jahren auch in Göttingen, wo es zu einem Angriff durch Polizei und BFE kam, auf eine Gruppe von Menschen, die friedlich versuchten die Abschiebung eines Freundes im Neuen Weg zu verhindern. In der herkömmlichen Berichterstattung kommt es meistens zu einer Täter-Opfer-Umkehr, wo im Nachhinein diejenigen, die sich couragiert und solidarisch zusammentun um Abschiebungen zu verhindern und das Recht auf Würde, Freiheit und Selbstbestimmung versuchen zu verteidigen, kriminalisiert werden.
Deshalb werden wir die Berichterstattung immer wieder selber in die Hand nehmen um zu zeigen, von wem die eigentliche Gewalt ausgeht: nämlich von Staat und Polizei!
Wir – der AK Asyl Göttingen – verurteilen die versuchte Abschiebung und das enorm gewaltvolle Vorgehen der Polizeikräfte in Witzenhausen und überall aufs Schärfste und möchten unsere tiefe Solidarität mit allen von Polizeigewalt und Repression betroffenen Menschen aussprechen.
Wir werden nicht zusehen, wie der Repressionsapparat erstarkt und Polizist_innen als Schlagstock des Staates unsere Kämpfe für Bewegungsfreiheit und ein Bleiberecht für alle zusammenknüppeln und jegliche emanzipatorischen Bewegungen zu unterdrücken versucht! Vor allem aber werden wir uns nicht aufhalten lassen, weiterhin zu kämpfen – gemeinsam und solidarisch.
Wir werden zusammenstehen, denn Solidarität ist unsere Waffe! Wir fordern ein Bleiberecht für alle und den sofortigen Stopp jeglicher Polizeigewalt!
https://netzpolitik.org/2018/ab-sommer-in-bayern-das-haerteste-polizeigesetz-seit-1945/
http://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Protest-gegen-Abschiebung-Schwere-Auseinandersetzungen-in-Goettingen -------------------------------------
PRESSEMITTEILUNG 1 - Arbeitskreis Asyl Witzenhausen Stellungnahme des AK Asyl Witzenhausen zur versuchten Abschiebung und Polizeigewalt am 23.04.2018
Der AK Asyl Witzenhausen verurteilt aufs Schärfste die versuchte Abschiebung sowie das eskalative und brutale Vorgehen der Polizei in der Nacht auf den 23. April 2018 in Witzenhausen. Groteskerweise fand die Abschiebung direkt nach dem „Weekend for Tolerance“ statt, bei dem sich Witzenhausen lautstark zu seiner Weltoffenheit bekannte. Mitten in der Nacht stellte sich eine große Zahl von Menschen der Deportation ihres Freundes entgegen. Die Polizei drang gegen 1 Uhr in die Wohngemeinschaft ein, riss die Person aus dem Schlaf und zwangen sie, in ein Polizeiauto einzusteigen. Zeitgleich durchsuchte eine Polizeieinheit den Arbeitsplatz des Abzuschiebenden. Dies gleicht der Behandlung eines Schwerverbrechers. Sein einziges „Verbrechen“ bestand jedoch in dem Wunsch nach einem sicheren und friedlichen Leben.
Die Mitbewohner*innen informierten Freund*innen des Abzuschiebenden. Er hat einen breiten Freundeskreis, ist bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, lebt und arbeitet seit über einem Jahr in Witzenhausen. Schnell waren Menschen versammelt, die sich friedlich um das Auto versammelten und den sofortigen Stopp der Abschiebung forderten. Die Polizist*innen forderte Verstärkung an und begannen gegen 2 Uhr die inzwischen 60 Personen, die friedlich und lautstark mit ihren Körpern die Wegfahrt des Autos blockierten, anzugreifen. Ohne Vorwarnung begannen sie hemmungslos auf die Menschen einzuschlagen. Ein Hund wurde auf die Gruppe losgelassen und Polizist*innen sprühten wiederholt Pfefferspray aus nächster Nähe in die Gesichter der Demonstant*innen, die zu Boden stürzten. Als das Auto schließlich wegfuhr waren mehr als 25 Menschen zum Teil schwer verletzt. Um die Verletzten zu versorgen mussten Rettungswägen aus Göttingen, Kassel, Eschwege und dem Eichsfeld angefordert werden. Der Teil der Demonstrierenden, der noch dazu in der Lage war, gab nicht auf und fuhr mit ca. 30 Personen zur Polizeiwache nach Eschwege. Die Polizei versuchten sie mit Falschaussagen zur Aufgabe zu bewegen, indem sie etwa behauptete, der Deportierte sei schon auf dem Weg zum Flughafen. Als schließlich das Polizeiauto Richtung Flughafen losfuhr, räumte die Polizei mit einem letzten brutalen Eingreifen die verzweifelte Blockade seiner Freund*innen aus dem Weg. Die Polizei betreibt mit ihrer am Morgen veröffentlichten Pressemitteilung, in der sie völlig entgrenzte Polizeigewalt zu einen Krawall stilisiert, eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Menschen, welche Zivilcourage zeigten wurden ohne Rücksicht auf Verletzte niedergeschlagen um die brutale und unmenschliche Abschiebepraxis des Deutschen Staates durchzusetzen.
Der AK Asyl stellt sich gegen die menschenverachtende Praxis, Menschen ohne Vorwarnung bei Nacht und Nebel aus ihren Betten und Leben zu reißen. Sie werden in oft menschenunwürdige und lebensgefährliche Umstände deportiert. Es ist höchste Zeit, dass wir die Debatten um Flucht und Asyl nicht einer populistischen Rechten überlassen, während couragierte Menschen tagtäglich solidarisch für Menschlichkeit, Freiheit und ein Leben in Würde kämpfen!
Wir fordern einen radikalen Humanismus, Reisefreiheit und Bleiberecht für alle Menschen! Gegen den rassistischen Normalzustand!
Gleiche Rechte für alle! Arbeitskreis Asyl Witzenhausen
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PRESSEMITTEILUNG 2 - RA Sven Adam Nach rechtswidrigem Abschiebeversuch: Demonstrierende widersprechen Tatsachendarstellung der Polizei – Klage wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt vor dem Verwaltungsgericht Kassel erhoben – von Anfang an rechtswidrige Abschiebung wurde gestoppt.
Göttingen/Witzenhausen, den 23.04.2018
Der offensichtlich rechtswidrige Versuch, in der Nacht auf den 23.04.2018 einen 27-jährigen Syrer aus Witzenhausen nach Bulgarien abzuschieben, hat zu erheblichen Protesten in der Studentenstadt mit etlichen Verletzten geführt. Ca. 60 Protestierende hatten sich zum Schutz des Syrers friedlich um Polizeifahrzeuge gesetzt, um die sogar gerichtlich untersagte Abschiebung zu verhindern. Die Polizei setzte dennoch massiv Pfefferspray, Schlagstöcke und Hunde gegen die friedlichen und sitzenden Demonstrierenden ein. Steine oder andere Gegenstände wurden von den Demonstrierenden vor diesem unverhältnismäßigen Gewaltausbruch der Polizei entgegen der Darstellung der Polizei in der Presse nicht geworfen.
Während kein Polizeibeamter verletzt wurde löste der Polizeieinsatz stattdessen die notwendige Hilfe von 4 Notärzten und einen sog. MANV (Massenanfall von Verletzten) durch die Rettungsleitstelle aus. Das Verwaltungsgericht Kassel hatte bezeichnenderweise bereits mit Beschluss vom 11.01.2017 (Az.: 5 L 3466/16.KS.A) die Abschiebung des jungen Mannes nach Bulgarien untersagt. Eine anderweitige rechtsmittelfähige Entscheidung des Bundesamtes für Migration oder der Ausländerbehörde, die die Abschiebung nun erlaubt hätte, war nicht ergangen. Die Abschiebung wurde daher auf Intervention der Göttinger Rechtsanwältin Claire Deery und auf neuerlichen richterlichen Hinweis des Verwaltungsgerichts Kassel unmittelbar vor dem Start des zur Abschiebung eingeplanten Flugzeugs in Frankfurt am Main um 08:30 Uhr durch das Regierungspräsidium Kassel in letzter Sekunde gestoppt. Wer den Fehler auf Seiten der Behörden zu verantworten hat ist bislang nicht geklärt. „Die eingesetzten Polizeibeamten wurden nach den mir vorliegenden Berichten noch in der Nacht mehrfach qualifiziert über die Rechtswidrigkeit der Abschiebung und die Existenz der besagten Gerichtsentscheidung informiert und aufgefordert, den Abschiebeversuch abzubrechen und die Situation nicht zu eskalieren“ teilt Rechtsanwalt Sven Adam mit, der die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen einiger Verletzter übernommen hat. Dass trotz der Kenntnis der Beamten von den Umständen auf friedliche und zur recht Protestierende eingeschlagen wurde und Pfefferspray und Hunde gegen sie eingesetzt wurden, wird nun gerichtlich aufgearbeitet. „Wir haben heute vor dem Verwaltungsgericht Kassel die ersten Klagen gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns erhoben. Ob auch Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt erstattet werden, wird die weitere Aufarbeitung der Ereignisse in den kommenden Tagen zeigen“ so Adam vorerst abschließend.
Eine Schilderung der Ereignisse durch Freunde des 27-jährigen Syrers befindet sich in der Anlage zu dieser Mitteilung. Für Rückfragen zu den rechtlichen Schritten der Demonstrierenden gegen die polizeilichen Maßnahmen steht RA Sven Adam unter den genannten Kontaktdaten zur Verfügung.
Anwaltskanzlei Sven Adam Lange Geismarstraße 55 37073 Göttingen Tel.: (05 51) 4 88 31 69 Fax : (05 51) 4 88 31 79