Pressemitteilung vom 25.03.2018: Drohende Abschiebung einer Familie aus Göttingen nach Rumänien
Presseerklärung vom 25.03.2018
Drohende Abschiebung einer Familie aus Göttingen nach Rumänien
Beim ersten Abschiebeversuch soll Familie T. nach Bulgarien abgeschoben werden. Beim Zweiten soll es Rumänien sein. Welches Land soll es beim dritten Mal sein? Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) scheint die Dublin-Regelung sehr freizügig auszulegen - sehr zum Nachteil einer afghanischen Familie, die in Göttingen lebt und die Leidtragende dieses Lotteriespiels ist.
Familie T. floh 2017 vor den unmenschlichen Bedingungen in Afghanistan. Zunächst landete das Ehepaar mit ihren drei kleinen Töchtern (heute 7, 6 und 3 Jahre alt) in Bulgarien. Dort wurden sie gezwungen, ihre Fingerabdrücke abzugeben und Asyl zu beantragen. Dort wurden sie 7 Tage in einem Haus festgehalten. Alle Habseligkeiten wurden ihnen weggenommen. Dann mussten sie aufs Polizeirevier zur Registrierung. Die Familie wurde voneinander getrennt verhört, 3 Tage lang ohne Essen, bis die Frau ohnmächtig zusammenbrach. Sie wurden für 28 Tage in das Lager Harmanli* eingesperrt.
Nach 5 Monaten gelang es ihnen, weiter zu fliehen. In Serbien wurden sie erneut in ein Flüchtlingslager gezwungen. 6 Monate verbrachten sie dort. Diesmal unter Aufsicht des UNHCR. Dann ging es wieder weiter. Sie durchquerten in einer Nacht Rumänien und gelangten nach einem Jahr auf der Flucht im August 2017 nach Deutschland. Hier wollten sie endlich zur Ruhe kommen, hofften auf Sicherheit und Erholung von den Strapazen. Die Ehefrau war hochschwanger.
Aber am 14.02.2018 klopfte es mitten in der Nacht an der Tür. Die Polizei wollte die Familie nach Bulgarien abschieben. Die Polizei hatte einen Wohnungsschlüssel und kam mit mehreren Beamt_innen in die kleine Wohnung, weckten die Kinder auf, auch das inzwischen in Göttingen geborene Baby. Alle haben geweint, hatten wahnsinnige Angst, konnten kaum verstehen, was geschehen sollte. Der Vater rief einen Freund an, der am Telefon dolmetschte. Unterdessen durchsuchten 2 Polizist_innen die ganze Wohnung, schauten selbst unter den Teppichen nach. Warum sie das taten, ist nicht bekannt, sie erklärten überhaupt nichts. Auch der Bruder des Vaters telefonierte mit der Polizei, erklärte, dass die Familie gar keinen Bescheid bekommen habe. Die Situation muss so unklar gewesen sein, dass die Polizei die Abschiebung abbrach. Vielleicht war es auch die Verzweiflung und die weinenden Kinder, die die Polizei abhielt. Sie sagten nur, das nächste Mal würden sie sie mit Sicherheit mitnehmen. Zurück blieb die völlig verzweifelte und aufgelöste Familie.
Die eingeschaltete Anwältin stellte einen Eilantrag bei Gericht, der aber abgelehnt wurde. Das Gericht hatte festgestellt, dass der Abschiebebescheid vom BAMF zugeschickt worden sei. Dass der jedoch die Familie nicht erreicht hatte, weil die Adresse in der Europaallee nicht an das BAMF weitergeleitet worden ist, könne nicht dem Bundesamt zur Last gelegt werden. Inzwischen hatte das BAMF auch mitgeteilt, die Familie solle jetzt nach Rumänien abgeschoben werden. Auch hierzu gab es keinerlei Begründung.
Dann kam der zweite Abschiebeversuch - auch dieses mal scheiterte die Abschiebung. Aus Verzweiflung und purer Angst unternahm der Familienvater kurz dannach einen Suizidversuch, den er überlebte.
Der AK Asyl verurteilt das Vorgehen von BAMF, Ausländerbehörde und Polizei aufs Schärfste. Die Praxis des Dublin-Abkommens ist unmenschlich und völlig sinnlos. Das Hin- und Herschieben quer durch Europa ist zahlenmäßig für die beteiligten Staaten eher ein Nullsummenspiel, ist aber für die Betroffenen eine Qual, die sie nicht zur Ruhe kommen lässt. Bei Familie T. verstoßen die Behörden auch noch gegen ihre eigenen Regeln. Nach dem Dublin-Abkommen ist dasjenige Land zuständig, in dem die Geflüchteten das erste Mal registriert werden. Und das ist in diesem Fall Bulgarien. Erst Anfang des Jahres hat das OVG Lüneburg die Abschiebungen nach Bulgarien für unzulässig erklärt. „Es ist mit Art. 3 EMRK unvereinbar, wenn sich ein Asylbewerber, der von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig ist und sich mit einer gravierenden Mangel- oder Notsituation befindet, staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht.“ Da hat das BAMF anscheinend kurzerhand umdisponiert. Da die afghanische Familie auch in Rumänien ihre Fingerabdrücke abgeben musste, soll sie jetzt nach Rumänien abgeschoben werden. So einfach und willkürlich kann eine Entscheidung sein. Dass die Situation in Rumänien für geflüchtete Familien auch alles andere als gut ist, ist nicht unbekannt. Es gibt einige wenige entsprechende Urteile dazu etwa aus Köln oder Schwerin. Schilderungen von Haft und Misshandlung durch die rumänische Polizei, Geldleistungen von 80 Cent pro Tag für Geflüchtete, Obdachlosigkeit und keine eingehende Prüfung von Asylanträgen etwa waren Gründe für diese Gerichte, systemische Mängel zu konstatieren und Abschiebungen nach Rumänien zu unterbinden.
Da die Dublin-Frist (6 Monate) für Familie T. bald vorbei ist und damit Deutschland für das Asylverfahren zuständig werden würde, hat die Ausländerbehörde Göttingen, die für die Durchführung der Abschiebungen zuständig ist, der Familie eine Hausarrestverfügung geschickt. Sie sollen nachts zwischen 24.00 und 7.00 Uhr zu Hause bleiben, damit die Abschiebung durchgeführt werden könne.
Wir werden einem dritten Abschiebeversuch nicht tatenlos zusehen. Eher werden wir nachts Wachen aufstellen, um die Familie vor der Abschiebung zu schützen.
Wir fordern das BAMF und die Ausländerbehörde Göttingen dazu auf, diese Abschiebungen endlich zu unterlassen und für die Familie T. von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen!
Wir fordern die Polizei und die Ausländerbehörde dazu auf ihre Praxis zu beenden mit Schlüsseln in die Wohnungen von Geflüchteten einzubrechen!
Bleiberecht und gleiche Rechte für alle!
Bündnis gegen Abschiebung, März 2018
*Weitere Infos zur Situation im Lager Harmanli findet ihr unter anderem unter: