Der 30. August – ein mahnender Tag gegen die Gewalt der Grenze und Abschiebung
Der 30. August – ein mahnender Tag gegen die Gewalt der Grenze und Abschiebung
Wir demonstrieren hier heute gegen die tödliche Abschiebepraxis für die Büren steht. Doch wir demonstrieren genau heute, weil der 30. August mehr als ein Tag zur Mahnung ist. Die Geschichte des 30. August ist Grund genug eine Ende jeder Abschiebung und ein sofortiges Bleiberecht für alle zu fordern!
Wir sind heute hier, um Rashid Sbaai zu gedenken. Er starb am heutigen Tag, vor 15 Jahren, hier vor Ort, in der JVA Büren. Er wurde gerade einmal 19 Jahre alt. Rashid Sbaai sitzt fast ein halbes Jahr in Büren ein. Er wird wegen einer „Disziplinarmaßnahme“ in Einzelhaft verlegt. Trotz strikten Rauchverbots und der Abnahme von allen persönlichen Dingen und Kleidung bricht in der Zelle ein Feuer aus. Weder auf den abgesetzten Alarm von Sbaai und seinem Zellnachbar noch auf ihre Hilferufe wird reagiert. Die Wärter reagieren erst nach 15 Minuten erbitternen Schreiens um Hilfe. Rashid Sbaai erstickt an dem Rauch in seiner Zelle. Nachdem ihm erst vorgeworfen wird das Feuer selbst gelegt zu haben, werden im Anschluss die Ermittlungen boykottiert. Ohne nennenswerte Strafen wird der Tod Rashid Sbaai nach einem Jahr zu den Akten gelegt.
Sein Fall zeigt: Jene, die hier Schutz suchen, die vor Verfolgung fliehen, finden in diesem Staat in den seltensten Fällen Schutz. Und dies nicht erst seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl vor 20 Jahren.Voll Wut stehen wir hier heute, weil Raschid Sbaai weder die erste noch die einzige Person ist, die auf Grund von Verfolgung und angedrohter oder vollzogener Abschiebung starb. Hunderte weiterer Menschen, die hier Schutz suchten, sind seitdem gestorben. Sie sind erstickt, verbrannt, wurden zu Tode geprügelt oder stürzten aus Fenstern. Zehntausende starben in den letzten 30 Jahren an den EU Außengrenzen, sie verhungerten, erfroren oder Ertranken bei dem Versuch die hochmilitarisierten Grenzen zu überwinden.
So stürzte sich heute vor 31 Jahren, am 30. August 1983, der kurdische Aktivist Cemal Kemal Altun in den Tod. Die BRD hatte fast zwei Jahre lang mit allen Mitteln versucht ihn abzuschieben, während die türkische Militärregierung ihm bereits die Todesstrafe androhte. Zweimal musste aufgrund massiver Proteste der Versuch ihn abzuschieben abgebrochen werden, doch um internationale Beziehungen nicht zu gefährden verweigert die BRD all den geflüchteten türkischen und kurdischen Linken das poltische Asyl. Hunderte werden abgeschoben und nie wieder gesehen. Kemal Altun nimmt zwar auch den juristischen Kampf auf, doch er sieht sich mit einer Übermacht staatlicher Institutionen konfrontiert. Noch vor Verhandlungsgebinn springt er aus dem Fenster des Gerichtsaals auf die Berliner Hardenbergstraße. Von der BRD in den Tod geschickt, beschließt er am 30. August 1983 seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. In der Folge gehen 10.000 auf die Straße und kämpfen gegen Abschiebung.
Gegen Abschiebungen zu kämpfen, das wurde auch zum letzten Lebensinhalt von Kola Bankole. Fünfmal setzte er sich gegen seine eigene Abschiebung nach Nigeria zur Wehr. Trotz Folterung einer Überzahl von Bundesgrenzschutzbeamte, musste seine Abschiebung immer wieder abgebrochen werden. Damit der sechste Abschiebeversuch am 30.08.1994 zum Erfolg führt, fesselten die Bundesgrenzschutzbeamten ihn bereits bevor sie ihn in das Flugzeug brachten an Händen und Füßen und knebelten ihn, damit er nicht um Hilfe schreien konnte. Bankole aber ließ sich das nicht gefallen. Er konnte sich aus zweien seiner Fesseln lösen, als die Grenzschützer auf ihn eintraten und seinen Kopf mit einer Tennissocke und einiger Gurte an den Flugzeugsitz fesselten. Gleichzeitig wurde ihm ein starkes Beruhigungsmittel gegen seinen Willen injiziert. Als sein Körper immer schwächer wird, sind selbst die Grenzschutzbeamten kurz beunruhigt. Doch der anwesende Amtsarzt meint es handle sich nur um einen „nigerianischen Trick“ und die Beamten misshandeln in weiter. Kola Bankole erstickt an seinem Knebel, vor aller Augen, im Abschiebeflieger. Die Folge aus diesem Tod war keine Verurteilung der Beamten, sondern lediglich die Dienstanweisung keine Knebel mehr zu verwenden.
Während der Fall zu den Akten gelegt wird, stirbt nicht mal ein Jahr später ein weiter Mensch beim Versuch seiner erneuten Abschiebung zu entgehen. Nachdem Altankhou Dagwasoundels aus Belgien vor seiner drohenden Abschiebung in die BRD floh, wird er hier aufgegriffen und direkt in die Abschiebehaft gebracht. Um seiner drohenden Auslieferung zu entgehen, versucht er während eines Krankenhausbesuchs zu fliehen. Er seilt sich nur an ein paar Bettlaken geknotet aus seinem Zimmer ab, da er unter Arrest steht. Die Laken reißen und Altankhou stürzt aus der sechsten Etage in den Tod. Er stirbt am 30. August 2000 in Berlin-Köpenick. Eben jenem Ort, wo vor wenigen Wochen alle Insass_innen des Abschiebegewahrsams Büren überführt wurden..
Wir erinnern hier heute an Cemal Altun, an Kola Bankole, an Rashid Sbhai, an Altankhou Dagwasoundels und an die vielen weiteren, vielen unbekannten Toten – weil wir nicht akzeptieren wollen, dass staatlich betriebene Morde und Suizide vergessen werden. Die Geschichte dieser vier Toten sind keine Einzelfäll, sondern Teil der Geschichte immer schon potenziell tödlicher BRD Politik. Es wird deutlich, dass schon vor der Entwertung des Artikel 16 Anfang der 90er Jahre, das Schutzgebot für politisch Verfolgte stets zu umgehen versucht wurde. Dies stand seit je her in Verbindung mit rassistischen Zuschreibungen, Stigmatisierungen und Kriminalisierung. So stellte sich die politische Verfolgerin BRD stets auf die Seite der rechtmäßig agierenden. In den aufgezeigten Fällen wird deutlich, dass Abschiebungen unter allen Umständen durchgesetzt werden. Nicht damit genug, dass der drohende Tod hingenommen wird – er wird bereits hier vor Ort betrieben!Dieser Staat hat sich stets gegen die Autonomie der Migration positioniert. Das Recht auf freie Bewegung wurde in immer neuen Formen bekämpft – doch bis heute nicht besiegt.Trotz der tödlichen Gefahr, die von diesem Staat und seinen Organen ausgeht, wird der Widerstand nicht weniger, sondern immer stärker. Die Kämpfe werden nicht weniger, sondern mehr. In mehreren Städten errichteten jene, denen kein Aufenthalt hier gewährt wird Protestcamps. Gegen die Repression der Residenzpflicht wird kollektiver Widerstand organisiert. Nicht nur in Berlin, sondern Europaweit.Dies ist die Hoffnung, die trotz eines solche traurigen Tages wie dem 30. August uns alle nicht ans Aufgeben denken lässt. Und so stehen wir hier heute in Gedenken an die Opfer staatlicher Gewalt, doch zugleich mit einem immer lauter werdendenWe are here and we will fight, freedom of movement is everybodys right!