Diskriminierung bevorzugt! Göttingen leistet AsylbLG-Nachzahlungen in Form von Gutscheinen
Die Stadt Göttingen leistet Nachzahlungen aufgrund des BVerfG-Urteils zum AsylbLG in Form von Gutscheinen. Damit hält sie entgegen der Bekundung im Rat, das Gutscheinsystem für Flüchtlinge abschaffen zu wollen, offensiv an diesem diskriminierenden System fest.
Asylbewerber und rechtlich Gleichgestellte sind in Deutschland einem Netz staatlicher Schikanen, Verbote und Zumutungen ausgesetzt. Beispielsweise erzwingt ein faktisches Arbeitsverbot die Sozialhilfebedürftigkeit dieses Personenkreises und bedeutete in der Folge eine über viele Jahre hinweg "in der Höhe evident unzureichende" Leistungsgewährung. So festgestellt im Sommer diesen Jahres in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Bekanntlich verfügte das Gericht in diesem Urteil, dass zum einen ab sofort höhere Grundleistungen ausgezahlt werden müssen und dass zum anderen den wenigen Flüchtlingen, die ihren Leistungsbescheid in der Vergangenheit angefochten hatten, rückwirkend Ausgleichszahlungen für die rechtswidrig vorenthaltenen Leistungen seit 2011 zustehen.
Eine weitere rassistische Sonderbehandlung gegenüber Flüchtlingen erfolgt hinsichtlich der Art der Leistungsgewährung. Gemeint ist das sogenannte Sachleistungsprinzip, das zwar in Deutschland überall anders ausgelegt wird, aber in Göttingen seither zur Begründung eines speziellen Gutscheinsystems in Anschlag gebracht wird: Demnach erhalten Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus die ihnen zustehenden Leistungen abgesehen von einem sogenannten "Taschengeld" in Form von aufwendig hergestellten Gutscheinen, die dann beschränkt auf einzelne Warengruppen nur in bestimmten Läden eingesetzt werden können. Obwohl –wie zuletzt auch das BVerfG dokumentierte– "die Mehrzahl der Länder und Kreise"[1] in Deutschland ebendiese Leistungen, die in Göttingen als Gutscheine ausgegeben werden, in Form von Geldleistungen gewährt, behauptet man in Göttingen felsenfest nach der derzeitigen Gesetzeslage gäbe es "keinerlei Handlungsspielraum, Bargeld auszuzahlen". Als Zuckerbrot für die sensibilisierten, kritischeren Stimmen konstatiert man dann gerne, die Gutscheine seien "diskriminierend", "stigmatisierend" und auch noch "teuer", ihre "dauerhafte Anwendung mit der Würde des Menschen nicht vereinbar", nur ändern könne man –leider– nichts, das "Niedersächsische Innenministerium" müsse erst "die Diskriminierungen des AsylbLG aufheben" (sic!).[2] Aber fällt das Innenministerium als Schwarzer Peter aus, dann kann man in Göttingen statt Zuckerbrot natürlich auch Peitsche:
Der Gutscheingruppe ist nun der Fall einer Leistungsempfängerin bekannt geworden, der aufgrund des Urteils des BVerfG rückwirkende Leistungen in Höhe eines hohen dreistelligen Betrages zustehen, kürzlich ausbezahlt von der Stadt Göttingen in Form von bis zum Jahresende gültigen Gutscheinen. Die Frau setzt sich mittlerweile gerichtlich gegen diese –wie hieß es im Stadtrat?– "diskriminierende" und "stigmatisierende" Form der Nachzahlung zur Wehr, die man in Göttingen doch angeblich so gerne abschaffen würde, wäre Hannover nur nicht so streng. Allerdings beurteilt man Nachzahlungen, die sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht ergeben, im Innenministerium in Hannover durchaus anders: Es handele sich um "eine besondere Sachkonstellation", die die Gewährung von Geldleistungen rechtfertige. Aber nichts desto trotz, die Stadt Göttingen besteht auf Gutscheinen, wieder einmal!
Außerhalb der Stadt, im Landkreis Göttingen sieht man die Sache übrigens anders. Hier werden die Nachzahlungen offenbar als Geldleistung erbracht und in einem Kreistags-Beschluss vom 11.09.2012 heißt es immerhin, man "bitte die Kreisverwaltung, vorhandene Ermessensspielräume (...) zu nutzen", um "verstärkt Barleistungen auszuzahlen". Immerhin!
Die Gutscheingruppe rät allen, die ebenfalls Nachzahlungen aufgrund des BVerfG-Urteils in Form von Gutscheinen erhalten haben, rechtlich gegen die Form der Leistungsgewährung vorzugehen. Weiterhin rufen wir zur Teilnahme an der Demonstration "Bargeld statt Gutscheine – Rassistische Sondergesetze abschaffen!" auf, die am Samstag, den 1. Dezember 2012 um 12 Uhr in Hannover stattfinden wird. Das Gutscheinsystem gehört schleunigst abgeschafft: In Göttingen, in Niedersachsen und auch überall sonst, wo es noch angewendet wird!
1 vgl. Rd.-Nr. 44
2 sämtlich zitiert aus einem vom Rat der Stadt Göttingen so beschlossenen Antrag vom 13.07.2012, vgl. ebenfalls unseren Artikel "Weiterhin kein Bargeld in Göttingen" vom 17.07.2012