Redebeitrag bei der Demonstration gegen den Abschiebeknast in Büren am 08.09.12

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Liebe Freundinnen, liebe Freunde, Ich grüße alle Menschen, die hier in Büren, nur einige Meter entfernt von uns, in Abschiebehaft sitzen. Ich hoffe, dass ihr uns alle hören könnt! Ich möchte mit einem Zitat aus einem Lied beginnen: „In Zeiten wie diesen...sitzen menschen in knästen, deren verbrechen es ist, keine papiere zu haben, für ein land wie dieses...in zeiten wie diesen...für d-land, dem freien und sozialen und achso zivilisierten, kein traum eher ein traumata land, mit soviel geschichte, schon soviel vergessen von verfolgung und morden, das es so leicht funktioniert menschen abzuschieben, sie auszufliegen in gebiete mit krisen, in gebieten mit kriegen...in zeiten wie diesen...“ Genau 20 Jahre ist es her, das ein Mob von Neonazis tagelang das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen mit Steinen und Molotovcocktails angriffen, mit dem Wissen darum das sich darin Menschen befanden. Tausende von Rostocker Bürger_innen klatschten Beifall oder standen daneben, anstatt einzugreifen. Im selben Jahr griffen Bürger_innen in Mannheim-Schönau eine Unterkunft für Asylbewerber_innen an. Tagelang wurden die Gebäude mit Steinen beworfen. Ein Jahr zuvor war es ebenfalls ein Mob von Bürger_innen, der Vertragsarbeiter in Hoyerswerda angriff. Laut Aussagen eines Bewohners des Heimes befanden sich nur wenige Neonazis unter den Angreifer_innen. Tagtäglich kam es in dieser Zeit zu Übergriffen und Anschlägen gegenüber Migrant_innen. Und heute noch sind Angriffe durch Neonazis trauriger Alltag. Diese rassistischen Pogrome und Anschläge nahm die damalige CDU/FDP Bundesregierung sowie die SPD, die in der Opposition war, zum Anlaß, das Asylgesetz faktisch abzuschaffen. Sie wollten den „Zustrom von Ausländern stoppen“, um den vermeintlichen Frieden in der BRD wiederherzustellen. Wir stehen heute hier, um gegen den rassistischen Normalzustand in der BRD, gegen Abschiebeknäste, die Abschiebepolitik, und die tödliche Migrationspolitik zu demonstrieren. In den letzten Jahren haben mehrere Menschen aus Verzweiflung und Angst, als Reaktion auf die restriktiven Haft- oder Lagerbedingungen, in denen sie leben, sich das Leben genommen. Immer wieder wählen Menschen eher den Tod, als abgeschoben zu werden. wie Slavik C, der sich 2010 in der JVA Langenhagen erhängte, weil er nach Armenien abgeschoben werden sollte. Oder die 34-jährige Yeni, die sich im April 2010 mit einem Gürtel in der JVA Hamburg erhängte. Sie war wegen eines angeblichen "Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz" inhaftiert, welches in den Augen der Hamburger Behörden ein Verbrechen sein soll. Oder David, der sich am 7. März 2010 ebenfalls in der Hamburger Abschiebehaft das Leben nahm. Oder der im Lager Meinersen (LK Gifhorn) lebende Shambu Lama, der sich im März 2011 das Leben nahm. Oder sie werden von deutschen Polizist_innen ermordet wie Aamir Ageeb, dem die ihn „begleitenden“ BGSr während des Abschiebefluges einen Motorradhelm aufgesetzt, ihn gefesselt und seinen Kopf beim Start herunter gedrückt haben und ihn dadurch erstickt haben. Diese Tode in den Knästen und Lagern sagen viel über die deutsche Abschiebepolitik aus. Das, was durch dieses Sterben ausgedrückt wird, zu hören, ist wichtig. Denn Menschen wie Yeni, David, Shambu und Slavik können nicht mehr für sich selbst sprechen. Die Verantwortlichen befinden sich in den rassistischen Institutionen, Gesetzen und bei den Menschen, die sie umsetzen ! Jährlich sterben Tausende Menschen an den europäischen Außengrenzen bei dem Versuch, die Grenze zu überwinden. Es ist eine alltägliche Tragödie, die hierzulande weitgehend ignoriert wird und sich daher fast unbemerkt an vielen Orten gleichzeitig vollzieht. Die Regierungen der EU-Staaten versuchen mit immer neuen Maßnahmen, Migration zu kontrollieren und Fluchtwege zu zerstören. Ein Instrument ist die Intensivierung der Kontrollen auf See und aus der Luft durch die Grenzschutzagentur Frontex. Aber auch enge Zusammenarbeit mit Diktatoren in Nordafrika wie mit den gestürzten Herrschern Ben-Ali in Tunesien oder Ghaddafi in Libyen wurde jahrelang betrieben. Im Gegenzug zu finanziellen Hilfen, Waffenlieferungen oder dem Ausbau der Grenzsicherung, machten diese Länder Jagd auf Geflüchtete, steckten sie in Lager, schlugen sie zusammen oder ließen sie in der Wüste sterben. Aber auch nach den Revolten ist Europa an der Zusammenarbeit mit den Staaten in Nordafrika gewillt, denn der Krieg gegen Flüchtende geht weiter. An den Außengrenzen lauert Frontex und der Tod. Im Inland werden Migrant_innen kontrolliert, drangsaliert, in Abschiebehaft gesteckt und der Rassismus geschürt. Geflüchtete werden zur Bedrohung erklärt. So wird ein militärisches Vorgehen gegen Menschen legitimiert, die in ihrer höchsten Not Schutz in einem anderen Land suchen. Zuwanderung soll kontrolliert werden - mal nach völkischen Kriterien, mal nach Kriterien der wirtschaftlichen Verwertbarkeit. MigrantInnen sollen das Objekt von Herrschenden bleiben, Unerwünschte mit allen Mitteln abgeschoben werden. Politiker wie Sarkozy oder Sarrazin wissen, wie sie mit rassistischen Äußerungen und Lügen die Ängste von BürgerInnen vor einem Verlust ihres Wohlstandes mobilisieren und benutzen können. Migrantinnen und Migranten, die z. T. seit Jahrzehnten hier leben, werden so erneut zu "Fremden" gemacht. Wieder sind sie dann unmittelbar davon bedroht, Opfer eines Rassismus zu werden, der direkt von staatlichen Institutionen ausgeübt wird. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise benötigen die Herrschenden Ablenkungsmanöver, um von den wahren Ursachen für Sozialabbau, Krise und Krieg abzulenken: Probleme werden ethnisiert. Aus Klassenfragen werden so "Rassenfragen" gemacht. Sicherlich, diese repressive Techniken sind kein abgeschlossener Prozeß, wir können sie blockieren: Praktisch, Schritt für Schritt, Tag für Tag. Antirassistischer Widerstand heißt, diese Logik zu untergraben. Es liegt auch mit an uns, ob wir in einer Welt leben, die von Ausgrenzung, Krieg und Rassismus geprägt ist - oder von Solidarität, Sympathie und Menschlichkeit. Diese Gebäude mit ihren Behörden und Knästen, die im Rahmen der Ausländergesetzgebung agieren, haben nicht nur eine Geschichte der alltäglichen Diskriminierung und psychischen Folter sondern auch eine Geschichte des erlebten Widerstandes. Migrant_innen und Unterstützer_innen kämpfen hier gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. Seien wir Bestandteil dieses Widerstandes und setzen wir den Rassisten in den Behörden unsere gelebte Solidarität entgegen. Wir fordern die Freilassung aller Menschen aus den Abschiebelagern und -knästen! Für ein freies und selbstbestimmtes Leben! Ohne Grenzen und ohne Knäste! Der Kampf gegen Rassismus heißt rassistische Strukturen und Gesetze abschaffen! Abschiebeknäste zu Baulücken! *** Schlagbäume zu Zahnstochern! Seid Sand im Getriebe der Abschiebemaschine - bis sie zum Stillstand kommt!