Redebeitrag zur sog. "Integrationsdebatte" anlässlich der Kundgebung gegen rassistische Familienpolitik am 21.10.2010

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Göttingerinnen und Göttinger. Der Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und Verleger starten eine Werbekampagne zur Integration. Mit einer neuen Plakat – und Anzeigenkampagne, die unter dem Motto "Raus mit der Sprache. Rein ins Leben" sollen Migrant_innen für den Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen begeistert werden. Der Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, spricht von „einer Million Integrationsverweigerern in Deutschland“. Der Parteivorsitzende Horst Seehofer fordert, dass sie mit allen Mitteln – „vom Bußgeld bis zur Leistungskürzung“ – bestraft werden. Auch wer „die Integration seiner Familienangehörigen behindert“, soll verfolgt werden. Dabei handelt es sich nicht um leere Drohungen. Das Bundeskabinett wird schon Ende Oktober ein Gesetz gegen Zwangsheirat und Integrationsverweigerung beschließen. Die Zwangsheirat kann bereits jetzt schon als Nötigung verfolgt werden. Der CSU – Vorsitzende Horst Seehofer ging noch weiter und verkündete, Deutschland sei kein Zuwanderungsland. Es dürfe keine Aufweichung des restriktiven Zuwanderungsgesetzes geben. „Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot“. Hinter dem „Integrationskonzept“ verbirgt sich eine systematische Politik der Ausgrenzung. Seit mehr als einem Jahrhundert wird alles unternommen damit die Migrant_innen nicht als gleichberechtigte Menschen in dieser Gesellschaft aufgenommen werden. Solche nationalistischen und völkischen Forderungen sind seit dem Wilhelminischen Kolonialkaiserreich wieder eine Debatte. Zu Beginn der 1890´er Jahre wurden gezielt anti – polnische Bestimmungen auf das übrige Preußen ausgedehnt. Die Absage an ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kultur, Religion und Abstammung erinnert an die schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte. In den 1920´er Jahren hatten nicht nur die Nazis, sondern auch Teile des konservativen Bürgertums einschließlich vieler Kirchenvertreter von „Fremdkörpern im deutschen Volksleben“ gefaselt. Gemeint waren die Juden, die später gesetzlich diskriminiert und schließlich ermordet wurden. Die Sprache hat sich verändert. An die Stelle des „deutschen Volkslebens“ ist die „deutsche Leitkultur“ getreten. Anstelle von Juden werden nun Muslime diskriminiert. Doch die Inhalte sind dieselben geblieben. Einwanderern, die sich der „deutschen Leitkultur“ (was immer das heißen mag) nicht unterordnen, wird mit Strafen und Abschiebung gedroht. Als die Gastarbeiter eingeladen wurden, hatten diese nur die Pflicht gehorsam die Drecksarbeit zu leisten. Das sie in lagerähnliche Heime eingepfercht wurden oder keine Deutschkurse angeboten bekommen haben, war kein Problem der „Integration“. Als trotz des Anwerbestopps 1973 ihre Niederlassung mit der Familienzusammenführung begann, erfand man die neue Quelle der wirtschaftlichen Belastung und die neue Gefahr der inneren Sicherheit. Es galt sie einerseits als „Überfremdung“ darzustellen und andererseits mit besonderen Gesetzen rechtlos unter Kontrolle zu halten. 1982 hat die Kohl-Regierung die Ausländer_innen offiziell für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Wer mit der Rückkehrförderung Deutschland nicht verlassen hat, musste Anfang der 90’er Jahre die Härte der rassistischen Gewalt am eigenem Leib spüren. Die gegen die Flüchtlinge begonnene Hetze in der Art „das Boot ist voll“ sowie die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock erreichte sehr schnell die Migrant_innen in Mölln und Solingen. Die längst geplante Abschaffung des Asylrechts erlangte mit Hilfe der als „Randgruppen“ bezeichneten Neonazis parlamentarische Mehrheit. Selbst die als Befriedung geführten Multi – Kulti – Diskurse werden nun als gescheitert erklärt, um zu unterstreichen, dass nur „zusammenwächst was zusammengehört“. Und seit der „deutschen Wiedervereinigung“ werden die Migrant_innen offensichtlicher denn je als eine nicht zugehörige Gruppe mit vermeintlichen Defiziten dargestellt. Nun wird den Migrant_innen mit der „Integrationskeule“ vorgeschrieben, einseitig „Integrationsleistungen“ zu bringen, ohne ihnen die gleichen Chancen und Rechte zu gewähren. Es ist eine Heuchelei sie einerseits als unerwünschte Sündenböcke darzustellen und andererseits sie dazu zu verpflichten, „Defizite“ selbst auszuräumen. Diese ganze Demagogie wird auf einer geschickten Art und Weise mit dem Begriff „Integration“ betrieben. Nun, während man angeblich die Migrant_innen in ihrem Interesse in die Gesellschaft eingliedern will, hat uns die bisherige Praxis der deutschen Migrationspolitik das Gegenteil vorgeführt. Erst bei genauem Hinsehen wird deutlich, welche wahren Absichten in diesem Begriff verpackt sind. Die bisherige „Integrationpolitik“ lässt in keinster Weise ein vorbehaltloses Aufeinandergehen auf gleicher Augenhöhe zwecks eines gedeihlichen Zusammenlebens erkennen. Offensichtlich wird der vermeintliche Gegensatz von WIR und die ANDEREN in die Köpfe eingehämmert, der bei allen Gesellschaftsschichten- und gruppen seine Wirkung zeigt: WIR steht für die die abendländische Mehrheitsgesellschaft samt ihrer „überlegenen Leitkultur“ und ihrer gesetzestreuen Orientierung an kapitalistische Herrschaftsverhältnisse; ANDERE stehen für Fremdkörper, die als kriminell, unzivilisiert, bildungsfern und parasitär diffamiert werden. Alle administrativen Maßnahmen legitimieren die widerspruchslos anzunehmende Ansicht, dass die als Sündenböcke deklarierten Migrant_innen, v.a. aus prekären Lebensumständen, entweder bedingungslos zu assimilieren oder widerstandslos auszugrenzen sind. In den Verlautbarungen der elitären Meinungsmacher, begleitet zur Zeit durch Überzeugungarbeit der Massenmedien, werden v.a. Menschen mit vermeintlich islamischem Hintergrund als Protagonisten dieser ANDEREN. Die Perversität, die mit dem Begriff „Integration“ betrieben wird, findet seinen aktuellsten Ausdruck in den sog. „Integrationsverträgen“ der CDU/CSU/FDP-Koalition. Damit will man die längst festgeschriebene Unterwerfung der unerwünschten Migrant_innen durch ihre eigenhändige Zustimmung zementieren. Die Diktatur der Integration ist mittlerweile so stark vorangetrieben worden, dass selbst Teile der Betroffenen in einer selbstdenunzierenden Art und Weise als Komplizen herangezogen werden. Unter dem Begriff „Integration“ vertretende Thesen, die direkt oder indirekt rassistische Zuschreibungen und Spaltungen vorschreiben, sind mehr denn je salonfähig geworden, da sie als Meinungsfreiheit ungeniert vertreten werden dürfen. Wir verurteilen aufs Schärfste das Gedankengut, das unter dem Deckmantel „Integration“ den migrantischen Teil der Gesellschaft einerseits diffamierend ausgrenzt, andererseits sie belehrend zu überdurchnittlichem Gehorsam verpflichtet. Es gilt die hetzerischen und menschenverachtenden Politiken, die den Begriff „Integration“ ausmachen, komplett auseinander zunehmen und zu entlarven. Daher heißt unser Motto: „INTEGRATION“ – NEIN DANKE!