Wider die Kriminalisierungsversuche! = Ein bunter Strauß an Möglichkeiten = Prozesse in Göttingen am 23. und 31. März

Über die reine Strafverfolgung hinaus nutzen die Repressionsorgane ihr Instrumentarium, um unliebsame soziale und politische Bewegungen zu behindern oder zu zerschlagen: Die vom Polizeiapparat ausgehende Gewalt und Kriminalisierung soll Angst verbreiten und Menschen einschüchtern. Ressourcen wie Zeit, Geld und Nerv, die sinnvoller für die eigentliche politische Arbeit eingesetzt würden, sollen gebunden werden. PolizistInnen nutzen ihre Machtposition gerne auch individuell, um einzelne Demonstrierende gezielt abzustrafen, etwa durch verdeckte gewalttätige Übergriffe und Beleidigungen gleich vor Ort oder aber im Nachhinein durch das Einleiten von Ermittlungsverfahren. Von Polizeiketten eingeschlossene Demonstrationen werden unabhängig von der eigenen Ausrichtung als gefährlich wahrgenommen, und die Vermittlung von Inhalten an die Öffentlichkeit wird durch Wanderkessel weitgehend verhindert. Die dazu notwendigen martialischen und teuren Großeinsätze werden über eine konstruierte "Gefahrenlage" begründet, als Rechtfertigung dienen oft willkürliche Ermittlungsverfahren. Beispiele hierfür sind angebliche Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Körperverletzung. Vor und von Gerichten werden diese Erfindungen leider nur selten entlarvt. Und selbst wenn es zu Verfahrenseinstellungen oder gar Freisprüchen kommt, bleiben für angeklagte AktivistInnen dennoch negative Folgen. So werden den Betroffenen die alten Verfahren in Gefahrenprognosen und bei weiteren Prozessen angelastet, frei nach dem Motto "irgendetwas wird schon drangewesen sein". Bei den allermeisten Einstellungen, zum Beispiel aus Mangel an Beweisen, bleiben die Angeklagten zusätzlich auf ihren Anwaltskosten sitzen, die im drei- bis vierstelligen Bereich liegen. Neben dem eigentlichen Strafverfahren verfügen die Repressionsorgane über einen vielfältigen Instrumentenkasten an weiteren Möglichkeiten: Präventive Ingewahrsamnahmen, Hausdurchsuchungen, erkennungsdienstliche Behandlungen, Observationen und allgemein das grenzenlose Sammeln von Daten, wo immer möglich. Mittlerweile wird bei jedem politischen Anlass jede und jeder von der Polizei abgefilmt. Erkennungsdienstliche Behandlungen werden inzwischen zum Erreichen einer Zielvorgabe des Innenministeriums durchgeführt. Da ist es kein Wunder, dass selbst Richter am Verwaltungsgericht feststellen, dass immer mehr ED-Behandlungen rechtswidrig sind. Das gesamte Vorgehen der staatlichen Repressionsorgane erhält eine zusätzliche Brisanz dadurch, dass Vieles ohne Wissen und Interventionsmöglichkeit der Betroffenen erfolgt. Gesammelte und zusammenphantasierte Daten bleiben für immer gespeichert. Im Verborgenen geführte und später eingestellte Verfahren kommen erst nach Jahren meist zufällig heraus. Selbst der Auskunftsanspruch führt, wie die aktuelle Situation in Göttingen zeigt, nur bedingt zum Ziel. Die Anfragen verschiedener Personen zu den über sie gespeicherten Daten wurden auch nach monatelanger Bearbeitungszeit von der Polizei nur lückenhaft und vom Verfassungsschutz noch gar nicht beantwortet. = Im Fokus stehen einige... = Konkret sieht das zum Beispiel so aus: Im Vorfeld des Castortransports 2004 wurde ein Göttinger zwei Wochen lang rund um die Uhr observiert und sein Telefon abgehört. Sogar ein GPS-Peilsender wurde am Auto eines Bekannten angebracht. Jedoch hatten die ErmittlerInnen weder irgendwelche Hinweise auf geplante Straftaten, noch ergab die zweiwöchige Beobachtung neue Anhaltspunkte. Einzig ein wegen Geringfügigkeit und mangels Beweisen eingestelltes Ermittlungsverfahren im Vorjahr und die angebliche Mitgliedschaft im AntiAtomPlenum reichten als Rechtfertigung aus. Das war selbst den Gerichten zu dürftig. Sie erklärten die Maßnahmen im Nachhinein für unrechtmäßig. Die eigentliche Repression wurde damit natürlich nicht ungeschehen gemacht, und natürlich ändert auch die Göttinger Polizei ihre Vorgehensweisen durch solche Urteile nicht. Auch Personen, die öffentlich mit ihrem Namen für emanzipatorische Politik einstehen, müssen sich regelmäßig mit Anklagen auseinandersetzen. So muss sich - ein weiteres Beispiel - der Landtagsabgeordnete Patrick Humke-Focks (Die.Linke), der oft Demonstrationen anmeldet, seit über 10 Jahren immer wieder vor Gericht verteidigen. Gegen ihn gehen Polizei und Staatsanwaltschaft derzeit mit einer Anklage wegen Beleidigung vor. Er soll am Rande einer antifaschistischen Demonstration in Göttingen einen Polizisten "Penner" genannt haben. Das Verfahren sorgt für besondere Aufmerksamkeit, weil hierfür seine parlamentarische Immunität, die seinen politischen Handlungsspielraum eigentlich vor willkürlicher Verfolgung schützen sollte, aufgehoben wurde. Anzeigen gegen erwiesenermaßen gewalttätig handelnde PolizistInnen verlaufen dagegen meistens im Sande und werden fast immer eingestellt oder erst gar nicht bearbeitet. In einem weiteren Fall steht aktuell ein Aktivist vor Gericht, der den Göttinger Ermittlungsbehörden offensichtlich ein Dorn im Auge ist und deswegen seit mehreren Jahren mit Ermittlungen und Gerichtsverfahren überzogen wird. So wurde er 2006 nach einem Naziaufmarsch in Göttingen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt, aber nach drei aufwändigen Verhandlungstagen freigesprochen. Der Protest gegen eine Militärmusik-Veranstaltung in der Lokhalle 2008 brachte ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch und eine Anklage wegen Hausfriedensbruch ein. Erst in der Berufungsverhandlung am Landgericht wurde er schließlich freigesprochen. Im aktuellen Fall wird erneut versucht, ihn wegen seiner antimilitaristischen Praxis, diesmal an einer Göttinger Berufsschule zu kriminalisieren. Er hatte im Vorfeld einer Bundeswehr-Rekrutierungsveranstaltung den kritischen Dialog mit der Schule gesucht, wodurch sein Name bekannt wurde. Im Nachhinein wird ihm deshalb zur Last gelegt, den unangemeldeten Protest am Tag der Rekrutierungsveranstaltung geleitet zu haben. Und schließlich steht für einen politisch aktiven Studierenden ein Prozess wegen Landfriedensbruch bevor. Bei der Räumung des besetzten Freiraumcafes an der Uni wurden seine Personalien festgestellt. Nach der folgenden sehr spontanen Spontandemonstration flatterte ihm eine Anklage ins Haus. Er sei auf Videoaufnahmen wiedererkannt worden und hätte auf der Demo einen Polizisten geschlagen. Allerdings ist die Beweislage nur als absurd zu bezeichnen. Der Polizeiarzt konnte keine Spuren der angeblichen Schläge feststellen und der Angriff ist auf keinem der zahlreichen Polizeivideos dokumentiert. Trotz zahlreicher Anfragen der Verteidigung liegen ihr zwei Videos noch immer nicht vor, von denen eines inzwischen durch die Polizei gelöscht wurde. Frei nach dem Motto "Masse statt Klasse" schickt die Staatsanwaltschaft nun gleich 16 BeamtInnen als ZeugInnen ins Rennen. Allerdings möchte - oh Wunder - nur der angeblich Geschlagene den Beschuldigten identifiziert haben. Auch in diesem Fall dürftig das Pech des Angeklagten seine namentliche Bekanntheit gewesen sein. = ... gemeint sind wir alle = Dies sind nur einige Beispiele. Sie zeigen, dass von Seiten der Polizei und Justiz immer wieder versucht wird, politisch engagierte Personen mit allen Mitteln zu kriminalisieren. Es handelt sich hier also nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Vorgehen des Staates, um die eigene herrschaftsförmige Macht aufrechtzuerhalten und jeglichen Widerstand zu verhindern. Obwohl nicht neu, sollten Repression und Kriminalisierungsversuche nicht hingenommen, sondern öffentlich gemacht werden. Es geht also darum, sich gegen die Kriminalisierung von sozialen und politischen Bewegungen direkt und solidarisch zu wehren - im Alltag, im Kontakt mit Behörden und auf der Straße. Darum: Kommt alle zu den Prozessen! "Bundeswehr raus aus den Schulen!" Montag, 23. März 2009, 13:30 Uhr, Amtsgericht Göttingen, Maschmühlenweg 11, Raum B16 "Spontane Spontandemonstration" Dienstag, 31. März 2009, 13:00 Uhr, Amtsgericht Göttingen, Maschmühlenweg 11, Raum B15