Offener Brief an die Stadt Göttingen und die Polizeidirektion Göttingen

Text als OpenOffice-Datei Text als rtf-Datei In der Nacht von Freitag auf Samstag, den 27. September 2008, ist im Ritterplan der Afro-Shop von Joseph M. ausgebrannt. Dieser Afro-Shop war seit seiner Gründung vor zwei Jahren Zentrum des kulturellen Lebens der afrikanischen Community in Göttingen. Der Ladenbetreiber war in den letzten Monaten einer für Göttinger Verhältnisse bisher beispiellosen rassistischen Hetze durch seinen Vermieter Jochen von W. ausgesetzt, der hierfür rege Unterstützung seitens der NPD und regional bekannter Neonazis erhielt. Obwohl dies in der Öffentlichkeit schon längere Zeit bekannt war (vgl. beispielsweise Göttinger Tageblatt, 23.07.2008, S. 9), hat es weder von Seiten der Stadt Göttingen noch von der örtlichen Polizei einen angemessenen Umgang mit dieser Situation gegeben. Nachdem der 54-Jährige Verleger eines regionalen Stadtmagazins im Januar 2008 Eigentümer der Ladenräume des Hauses und somit Vermieter von Joseph M. wurde, entstand, quasi über Nacht, ein Bedrohungsszenario gegen den Betreiber des Afro-Shops, das sich in den folgenden Monaten zuspitzen sollte. Entgegen jeder mietrechtlichen Praxis erhöhte von W. den Mietpreis von heute auf morgen um 40% und forderte nachträglich eine im Mietvertrag nicht vereinbarte Kaution über zwei Monatsmieten. Joseph M. war nicht bereit diese drastische und unbegründete Mieterhöhung zu akzeptieren und bot an, bis zur Klärung weiter die ursprüngliche Miete zu bezahlen. Von W. verweigerte von nun an die Annahme jeglicher Zahlung. Stattdessen begann der Vermieter mit massiven Denunziationen und Drohungen gegen Joseph M. vorzugehen. So zeigte er ihn bei diversen Behörden an, indem er ihn beschuldigte, abgelaufene Lebensmittel zu verkaufen, ein nicht genehmigtes gastronomisches Gewerbe zu betreiben und illegale Arbeitskräfte zu beschäftigen. Alle diese Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, dennoch stellte von W. seine rassistischen Diffamierungen nicht ein. Er belästigte die Kundinnen und Kunden von Joseph M., beleidigte und fotografierte sie. Darüber hinaus bat von W. die örtliche NPD um Hilfe gegen „die Wilden“, wie er Joseph M. sowie seine Kundinnen und Kunden in seinem Schreiben an die NPD nennt. Die NPD griff diesen „Hilferuf“ bereitwillig auf und behauptete auf Ihrer Homepage ein „Göttinger Vermieter hat ein Negerproblem“. In den folgenden Wochen erhielt von W. die von ihm gewünschte Unterstützung durch die NPD und andere Neonazis. Diese tauchten im Laden auf, um Joseph M. einzuschüchtern und sprühten rassistische Parolen an die Wand des Afro-Shops sowie nach dem Brand auch an dessen Privatwohnung. Aus der Sicht von Joseph M. und seiner Kundschaft nahm das durch von W. und die örtliche Neonaziszene aufgebaute Drohpotential bis zum Tag des Brandes kontinuierlich zu. Die Polizei blendete den geschilderten rassistischen Kontext von vorneherein aus ihrer Untersuchung aus. Wenn Joseph M. in Bedrohungssituationen die Polizei rief, erschien diese mitunter erst Stunden später und versuchte mittels Beschwichtigungen Anzeigen gegen von W. zu verhindern. Schon vor Beginn der Ermittlungen ging sie von einem technischen Defekt als Brandursache aus und hielt es zudem nicht für nötig, Joseph M. über den Brand zu informieren. Dieser erfuhr hiervon erst, als er am Samstag seinen Laden öffnen wollte. Inzwischen betrachtet die Polizei ihre von Anfang an aufgestellte Vermutung als erwiesen und hat die Ermittlung der Brandursache eingestellt. Trotz Kenntnis über die rassistische Vorgeschichte und die anhaltende Bedrohung Joseph M.s durch seinen Vermieter und Neonazis unternimmt die Polizei keinerlei Anstrengungen in diese Richtung zu ermitteln. Selbst nachdem Neonazis im Hausflur zu seiner Privatwohnung auftauchten, weigerte sich die Polizei zunächst entsprechenden Schutz zu gewähren. Dieser Umgang mit einer Person, die seit Monaten rassistischer Hetze ausgesetzt ist und nun vor dem sprichwörtlichen Nichts steht, kann nur als Skandal bezeichnet werden. Ganz gleich, was die Ursache des Brandes war, der die Existenzgrundlage von Joseph M. zerstört hat, der rassistische Kontext lässt sich nicht ausblenden. Durch den Brand, der nach Polizeiangaben einen Sachschaden von 65.000 Euro verursacht hat, ist nicht nur ein zentraler kultureller Bezugspunkt für die afrikanische Community Göttingens verloren gegangen, sondern auch ein wichtiger Ort interkulturellen Austauschs. Trotzdem haben sich bisher weder die Stadt Göttingen, noch die politischen Parteien (mit Ausnahme der Linkspartei) zu dem Vorfall geäußert. Für eine Stadt, die in ihrem Internetauftritt Folgendes schreibt, „[…] seit vielen Jahren leben hier Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Nicht nur durch die internationale Vernetzung als Wissenschaftsstandort ist Göttingen heute weltoffen und tolerant.“ (www.goettingen.de/magazin/artikel.php? artikel=965&menuid=619&topmenu=637&type=2), ist diese Ignoranz gegenüber konkreten rassistischen Vorfällen vollkommen inakzeptabel. Vor diesem Hintergrund fordern die Unterzeichnenden: die Stadt Göttingen dazu auf, • die Eröffnung eines neuen Afro-Shops in der Innenstadt durch einen wesentlichen finanziellen Beitrag zu unterstützen, sowie öffentlich gegen den Rassismus eines von W. Stellung zu beziehen und die Polizeidirektion Göttingen, • dass sie bei ihren Ermittlungen die rassistische Vorgeschichte, die dem Brand vorausging, zur Kenntnis nimmt und gezielt auch in diese Richtung ermittelt. Außerdem muss die Polizei auf die, sich auch nach dem Brand fortsetzende Bedrohung Joseph M.s durch Neonazis und von W. reagieren, indem sie seine Bedürfnisse ernst nimmt und entsprechenden Schutz gewährt. Für weitere Nachfragen stehen wir Ihnen gerne unter der Mailadresse buendnis_gegen_rassismus@gmx.de zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, Bündnis gegen Rassismus Göttingen Göttingen im Oktober 2008 Unterzeichnende:

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