4.3.05 // junge welt: Abgeschoben in ein fremdes Land
junge Welt vom 04.03.2005
Inland
Abgeschoben in ein fremdes Land
Tausende libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge sollen jetzt aus der BRD in die Türkei ausgewiesen werden
Reimar Paul
Flüchtlinge und ihre Unterstützer haben am Donnerstag in Hildesheim gegen die Abschiebung einer jungen Mutter in die Türkei protestiert und ihre Rückkehr nach Deutschland verlangt. Die 25 Jahre alte Gazale Salame und ihr einjähriges Kind waren am 10. Februar abgeschoben und dabei von ihrem Mann und zwei weiteren Töchtern getrennt worden.
Wie Augenzeugen schilderten, warteten die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Landkreises Hildesheim und Polizisten am fraglichen Morgen so lange vor dem Haus der Familie in der Ortschaft Algermissen, bis der Vater die beiden älteren Mädchen zur Schule brachte. Ohne Vorankündigung sei die schwangere Gazale Salame mit der kleinen Tochter Schams in Abschiebehaft genommen worden. »Wenige Stunden später, noch bevor die Kinder von der Schule nach Hause kamen, saß ihre Mutter bereits im Flugzeug in die Türkei«, berichtete der Göttinger Arbeitskreis Asyl. »Keiner hat damit gerechnet, daß die Ausländerbehörde tatsächlich so unmenschlich ist, Familien auseinanderzureißen.«
Nach Darstellung der Behörde ist eine vorübergehende Trennung der Familie aus Algermissen »rechtlich zulässig und zumutbar«. »Der Ehemann hat es in der Hand, möglichst bald mit den beiden Kindern auszureisen und seiner Frau und dem jüngsten Kind zu folgen«, sagte ein Sprecher. Der Landkreis begründet die Abschiebung Salames mit einer »Täuschung«. Die Familie habe 1988 »unter falschem Namen und einer erfundenen Legende« einen Asylantrag gestellt, sagte der Behördensprecher. Recherchen der Verwaltung hätten aber ergeben, daß die Familie zuvor bereits unter ihrem tatsächlichen türkischen Namen einen Asylantrag gestellt habe.
Nach Angaben des Göttinger Arbeitskreises Asyl ist Gazale Salame als Achtjährige mit ihren Eltern aus dem Libanon über Syrien und die Türkei nach Deutschland geflohen. Die Familie stamme von der Arabisch sprechenden, mit den Kurden verwandten Minderheit der Mahalmi ab.
Gazale Salame und ihr Mann Achmed Siala gehören zu einer Gruppe von bundesweit mehreren tausend libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen, die nach Jahrzehnten in Deutschland jetzt in die Türkei abgeschoben werden sollen. Die Mahalmi waren nach 1920 aus dem türkischen Teil Kurdistans in den Libanon ausgewandert, wo sie unter ihren arabischen Namen lebten - was ihnen in der Türkei nicht erlaubt gewesen war. Im libanesischen Bürgerkrieg flüchteten sie nach Deutschland, wo sie als staatenlose Libanesen bleiben konnten. Aufgrund des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts sind viele der Nachkommen in türkischen Registern verzeichnet, zum größten Teil ohne das Wissen der Betroffenen. Auf dieser Grundlage betreiben nun Ausländerbehörden die Abschiebung der libanesischen Flüchtlinge in die Türkei.
Allein in Südniedersachsen sind mehrere hundert Flüchtlinge aus dem Libanon wegen des Streits um ihre Herkunft von Abschiebung bedroht. Für einige Familien hat das türkische Konsulat in Hannover inzwischen Paßersatz-Papiere ausgestellt, die eine Abschiebung ermöglichen.
»Gazale Salame steht in der Türkei vor dem Nichts«, sagte gestern eine Sprecherin des Arbeitskreises Asyl. Sie habe in dem für sie fremden Land bei einer ebenfalls ausgewiesenen Familie vorübergehend Unterkunft gefunden und lebe dort in ärmlichsten Verhältnissen. Da sie als Tochter libanesischer Bürgerkriegsflüchtlinge kein Türkisch, sondern Deutsch und Arabisch spricht und weder Familie noch Freunde in der Türkei habe, sei sie vollkommen auf die Hilfe anderer angewiesen. »Als schwangere alleinstehende Frau mit einjährigem Kind kann sie ohne Unterstützung nicht überleben«, sagte die Sprecherin.
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