Die rassistische Mobilmachung 2024 (ein unvollständiger Rückblick auf das Jahr 2024)

Die rassistische Mobilmachung 2024

(ein unvollständiger Rückblick auf das Jahr 2024)

Fast kein Tag verging, ohne dass rassistische Äußerungen von Seiten der Politik und die entsprechenden Gesetzesänderungen die Schlagzeilen dominierten – Bezahlkarte, Abschiebungen, schneller Abschiebungen und noch mehr Abschiebungen.

Mitte des Jahres stellte sich schon die Frage: „Geht es noch schlimmer?“ Und es ging schlimmer!

Schon Ende 2023 begann die rassistische Mobilmachung unter der Ampelregierung: Olaf Scholz verkündete ab da unermüdlich: „Wir müssen endlich in großem Stil dienenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben!“ (Wobei schon hier die Frage lautet: „Wer bestimmt denn dieses Recht?“) Im Januar wurde die Correctiv-Recherche veröffentlicht, laut der die AFD massenhaft Abschiebungen plane. In den Folgewochen gab es unednlich viele Demonstrationen gegen die AFD, aber keine geben Olaf Scholz. Warum ist das so?

Es ist zweifelsohne gut, dass Millionen Menschen auf die Straßen gingen. Aber ist die rassistische Mobilmachung von SPD, CDU, FDP und den Grünen nicht genauso gefährlich oder gar gefährlicher? Sie kommt zwar nicht ganz so unverblümt daher, hat doch aber die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt.

Im Januar verteidigte eine grüne Ministerin eine Abschiebung aus dem Kirchenasyl, arbeitete Stamp (Sonderbevollmächtigter der Regierung) intensiv an neuen „Migrationsabkommen“ (wie schon mit Georgien und Marokko), um Abschiebungen zu erleichtern, betonte Faeser die Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen gegen Geflüchtete und es wurde die „Bezahlkarte“ beschlossen. Dazu begannen die Abschiebungen von JezidInnen in den Irak in großem Stil, nachdem kurz zuvor vom Bundestag der Genozid anerkannt worden ist. Wohlgemerkt, alles unter einer rot-grün-gelben Regierung. Das hätte sich die CDU alleine nicht getraut.

Im Februar dominierte der Streit um die Ausgestaltung der Bezahlkarte die politische Debatte, neben dem Ziel vermehrter Abschiebungen. In der Diskussion um die Bezahlkarte war das vorherrschende Argument, die Geflüchteten sollten kein Geld mehr an die Familien in den Herkunftsländern schicken können oder Schlepper bezahlen. Dabei geht es doch oftmals um das schiere Überleben. Wer Geld nach Afghanistan oder in den Sudan an die Familien schicken kann, tut dies in dem sicheren Wissen, dass die Familienangehörigen sonst sterben würden. Außerdem betrifft dies nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur 6% der Geflüchteten. Aber egal – Stimmungsmache ist alles!

Die Bezahlkarte ist eine weitere Schikane gegen Geflüchtete – nur das! Wer z.B. in Wollershausen (einem kleinen Dorf im Landkreis Göttingen) leben muss, kann damit vielleicht noch in Duderstadt einkaufen, aber nicht mehr in Hannover, wo es viele spezielle Läden mit Lebensmiteln aus anderen Regionen der Welt gibt. Damit wird wieder mehr Kontrolle und Druck ausgeübt, damit Geflüchtete sich nicht frei bewegen können.

Im März waren wieder die Abschiebungen vorherrschend: Bremen und Niedersachsen schieben mehr Menschen ab als letztes Jahr, genauso wie Thüringen. Es gibt neue „Migrationsabkommen“ u.a. mit Ägypten. Dorthin sind auch viele Menschen aus dem Sudan geflüchtet, die auf gar keinen Fall nach Europa gelangen sollen. ‚Ägypten soll dür über 7 MNrd Euro die Geflüchteten aufhalten. Stattdessen schiebt Ägypten diese Menschen gleich wider in den Sudan zurück, wo ein blutiger Bürgerkrieg herrscht, der von den imperialen Mächten befeuert wird.

Auch Tunesien ist in diese „Migrationsabkommen“ eingebunden. Von dort werden die Menschen in der Wüste ausgesetzt. Das Resultat solcher Abkommen haben wir schon früher in Libyen unter Gaddafi kennengelernt. Gaddafi hatte damals von Italien mehr Leichensäcke angefordert, um die verdursteten Menschen verschwinden lassen zu können. Auch mit dem Libanon wurde ähnliches vereinbart. Das betrifft vor allem syrische Geflüchtete, die dort Schutz gesucht hatten. Seit den Angriffen der israelischen Armee hat sich die Situation verschärft und viele fliehen wieder zurück nach Syrien. Wie absurd! Allerdings hatte es dank des Migrationsabkommens und der dortigen rassistischen Stimmungsmache auch schon Hetzjagden auf Geflüchtete gegeben.

Der April ging genauso weiter. Auch Niedersachsen sieht nun keine Einschränkungen mehr für Abschiebungen in den Irak. Und auf europäischer Ebene soll die GEAS-Reform so schnell wie möglich umgesetzt werden. Niemand soll mehr „ungehindert“ nach Europa gelangen können. In Göttingen wird ein ganzer Wohnkomplex, in dem zumeist MIgrantInnen leben, von der Stadt und einem immensen Polizeiaufgebot umstellt, angeblich um Hygienemängel zu begutachten.

Was brachte uns der Wonnemonat Mai? Das GEAS-Abkommen wurde vom EU-Parlament verabschiedet. Am 6. Mai gab es eine Konferenz in Kopenhagen zur „Schaffung neuer Modelle zur Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Kampf gegen illegale Migration“. Doch, der Toitel klingt unheilverkündend. Als Beispiel wird denn auch ein Trainingszentrum für Grenzschutzbeamte in Tunesien genannt. Was das bedeutet wissen wir inzwischen genau – Hetzjagden und Aussetzen in der Wüste.

Im Juni war EU-Wahl, die ein Erstarken der Rechtsextermen Parteien zum Ergebnis hatte. Schlagwort des Monats war „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“. Es gibt zu wenig Arbeitskräfte und die sollen nun besser rekrutiert werden können. Pech nur, dass Deutschlands Ruf unter den gewünschten Arbeitskräften so schlecht ist. Warum wohl?

Im Juli dann die „Erfolgsmeldung“: weniger Menschen gelangen über das Mittelmeer nach Europa, dank der Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Staaten zur Eindämmung irregulärer Migration. Die Toten in den Wüsten tauchen darin dann nicht mehr auf.

Im Juli wurde auch bekannt, dass Faeser vertraulich Verhandlungen führt, um wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können. In Großbritannien wird das sog. Ruanda-Modell vom neuen Premierminister gestoppt. Der Plan war, einfach alle nach Ruanda abzuschieben. Dieses Modell wurde in Europa aufmerksam beobachtet, wünschten sich doch alle Regierungen, ähnliche Verfahren. Unterdessen wird in Polen der Schusswaffengebrauch an der Grenze gegen Geflüchtete erlaubt.

Nach der kurzen Sommerpause ging es im September wieder so richtig los. Anlass war der islamistische Terrorakt in Solingen. Der Angreifer von Solingen wurde hochstilisiert zu einer allgemeinen Gefährdung durch Ausländer für „unser Land“. Die deutsche Sicherheit sei gefährdet und man müsse zügig handeln, war das einmütige Credo der Politik. Bereits Ende März 2024 hatte es einen Brandanschlag in Solingen gegeben, bei dem eine Familie aus Bulgarien mit 2 kleinen Töchtern getötet worden war und 3 weitere Personen aus Bulgarien verletzt wurden. Aber nach Ansicht der Ermittler sei kein rassistisches Tatmotiv erkennbar, denn der Täter sympathisiere mit einer Partei der Mitte. Dabei ist die Zahl der rechtsextram motivierten Staftaten in Deutschland auf einem Rekordhoch. Fast 10.000 registrierte Fälle allein ersten Halbjahr. Es gab keinen allgemeinen Aufschrei, es gab keinen Ruf nach mehr Sicherheit für Menschen, als die nicht-deutsch gelesen werden.

Im Oktober wurde dann das Sicherheitspaket“ verabschiedet: sog. Dublin-Fälle sollen keine Soz8ialleistungen mehr bekommen (aushungern und obdachlos machen), das Verbot von Messern samt verdachtsunabhängiger Kontrollen und der Einsatz von bildabgleichenden Programmen zur Identitätsfeststellung. Ein allgemein hochumstrittenes Verfahren zur Fahndung nach StraftäterInnen.

Gleichzeitig wird weiter über die Auslagerung des Asylverfahrens diskutiert. Italien hatte ja schon entsprechende „Migrationsabkommen“ mit Albanien ausgehandelt und ist damit das erste europäische Land, das außerhalb der EU über Asylanträge entscheidet. Ein Gericht hat diese Pläne im Oktober vorerst gestoppt. Doch auf europäischer Ebene wird weiter darüber nachgedacht. Ungarn will nun gänzlich aus dem Asylsystem der EU aussteigen, wie die Niederlande es auch schon im September beantragt hatten.

Im November die nächten „Erfolgsmeldungen“: Frankreich schließt ein „Migrationsabkommen“ mit Kaschstan, um afghanische Geflüchtete, die über Kasachstan nach Europa gekommen sind, dorthin abzuschieben und Deutschland hat mit Somalia die „die Rücknahme Geflüchteter „ vereinbart, ein Land, vor dessen Besuch selbst das Auswärtige Amt warnt. Und dann noch: Eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die im Frauenhaus Schutz gesucht hatte, wird aus Hamburg abgeschoben.

Wer nun dachte, es reicht doch und schon die christliche Nächstenliebe der Weihnachtsglocken hörte, lag falsch – so war von falsch! In der Nacht vom 3. Auf den 4. Dezember wurde mal wieder das Kirchenasyl gebrochen, diesmal in Bremen. Die gute Nachricht – durch eine Blockade von UnterstützerInnen konnte die Abschiebung verhindert werden. Wenige Tage später wird Assad aus Syrien vertrieben und sofort beginnt eine unsägliche Diskussion über die „Rückkehr“ von syrischen Geflüchteten. Das Bundesamt verhängt sofort einen Entscheidungstopp.

Am 17.12.24 werden alle Polizisten, die Mouhamed Drame getötet hatten, freigesprochen. Der Richter sah ein „rechtmäßiges Handeln“ gegeben. Was für ein Signal! 2024 wurden laut Statistik 20 Menschen durch Polizisten erschossen, so viele wie seit 1999 nicht mehr. Darunter viele Geflüchtete. Es kommt fast nie zu einer Verurteilung.

In Wilstedt bei Bremen kämpfen die Menschen schon seit Wochen gegen die Abschiebungen von Pflegekräften, ohne die das Pflegeheim Haus Wilstedt schließen müsste. Im Dezember dann die überaus deutsche Lösung: die Betroffenen bekommen eine Ausbildungsduldung. So geht das Jahr mit einer halbwegs guten Nachricht zu Ende. Durch die unermüdlichen Debatten der Politik um die Gefahr durch Geflüchtete hat sich aber die allgemeine Sichtweise in der Bevölkerung weiter nach rechts verschoben und das Integrationsbarometer 2024 zeit eine steigende Skepsis gegenüber Zugewanderten.

Das alles sind nur die gravierendsten Ereignisse aus 2024. Aber die rassistische Mobilmachung läuft auf allen Ebenen, bis tief in den Alltag hinein. Denken wir nur an die mangelnde Gesundheitsversorgung Geflüchteter, die auf 36 Monate verlängert wurde, oder die erschwerte Einbürgerung, die uns als Erleichterung verkauft worden ist. In Wirklichkeit werden dabei alle Menschen, die nicht in der Lage sind zu arbeiten, ausgeschlossen. Oder die Wohnsitzverpflichtung oder oder oder….

Aber der große Aufschrei in der Gesellschaft bleibt aus. Da stellt sich nur noch die Frage, wann auch an Deutschlands Grenzen geschossen werden darf.

Und warum nun das alles? Ein paar Gedankensplitter und Diskussionsstränge dazu:

Zumeist wird kolportiert, dass die AFD die etablierten Parteien vor sich hertreibe. Diese Erklärung taugt rein gar nichts. Eine kleine Partei kann nicht alle anderen vor sich hertreiben. Sie hat allenfalls die Schleusen geöffnet für einen Rassismus, der schon vorhanden war. (Schon 2000 brach F. Merz die Debatte um eine deutsche Leitkultur vom Zaun, als es die AFD noch gar nicht gab.) Es gibt längst keine inhaltliche rote Linie mehr, weder die Verfassung noch die Menschenrechtserklärung sind ein Hinderungsgrund für die unerbittlichen Debatten und die unsäglichen Gesetzesverschärfungen. Und zwar für keine der Parteien.

Gleichzeitig – von den meisten kaum bemerkt – läuft eine Entrechtungs- und Verschlimmerungsdebatte auch für diejenigen Teile der Bevölkerung, die als dazugehörig gelten. Das Rentenalter soll hochgesetzt werden, Bürgergeld verschärft und gekürzt werden, Krankmeldungen auf den Prüfstand kommen usw. Beim Sicherheitspaket wurde dann auch im Nachgang die Abgleichung von Bildern im Internet zur Strafverfolgung für alle abgenickt. Die Polizeibefugnisse wurden mal wieder erweitert… Orwell lässt grüßen.

Wir wissen, dass Rassismus und Kapitalismus zusammengehören zur Deregulierung und Unterschichtung der arbeitenden Bevölkerung und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Aber ist der Rassismus erstmal entfesselt von menschenrechtlichen Bedenken, gibt es kein Halten mehr. Dann hilft es auch nicht mehr, wenn ArbeitsgeberInnen den Arbeitskräftemangel beklagen. So werden Menschen auch von ihren Arbeitsplätzen verschleppt und abgeschoben. Das beweist wieder einmal: es gibt keinen kontrollierten Rassismus. Es gibt auch keine funktionierende kontrollierte stattlich gesteuerte Einwanderung, die nur nach Arbeitskräftebedarf ausgerichtet ist. Das hat schon die „Gastarbeiter“phase in den 60ern bewiesen.

An der Schwelle von den Veränderungen in der bipolaren Weltordnung, globaler Ausbeutungsstrukturen, Wirtschaftskrise und der Klimakrise ist der Reflex allenthalben: Grenzen dicht machen! Unser Wohlstand wird nicht geteilt! Wir machen so weiter wie bisher! Um die Ruhe im eigenen Land zu gewährleisten werden wir mehr und mehr einem militarisierten Kontrollstaat unterworfen. Die Opfer der globalen Ausbeutung werden unsichtbar gemacht. Die tausenden Toten an den Grenzen finden keine Beachtung mehr. Die Dehumanisierung von Menschen ist schon weit fortgeschritten.

Nur auf die AFD oder andere rechtsextreme Parteien zu schauen, wird der Situation nicht gerecht. Es sind mal wieder die Parteien der sog. Mitte, die diese Verschärfungen herbeigeführt haben und sie durchsetzen. Darauf brauchen wir eine Antwort.

The future is unwritten

 

AK Asyl Göttingen, Januar 2025