Abschiebung nach Westafrika: Abschiebecharter hebt heimlich ab
Unter der Federführung Hamburgs lassen mehrere Bundesländer Flüchtlinge nach Westafrika ausfliegen. Angesteuert wird auch der Krisenstaat Togo - obwohl die Innenminister nächste Woche über einen Abschiebestopp dorthin verhandeln
von Eva Weikert
Es ist die letzte Maschine, die Hamburg in dieser Nacht verlässt. Die Aussichtsplattformen des Flughafens in Fuhlsbüttel sind längst geschlossen, die Hallen verwaist, als sich der Flieger kurz vor Mitternacht am Rande des Rollfeldes in Bewegung setzt. Um diese Zeit wissen nur die Bundespolizei und die Hamburger Ausländerbehörde über Passagiere und Ziel Bescheid. Aber Gerüchte kursieren: Mit dem geheimen Charter werden Flüchtlinge aus ganz Deutschland nach Westafrika ausgeflogen. Auch Togo wird angesteuert - ein Land, das amnesty international für Menschenrechtsverletzungen kritisiert und für das Mecklenburg-Vorpommern einen Abschiebestopp verhängt hat.
Schon Stunden vor dem Start hatten sich an diesem Montagabend Flüchtlingshelfer der Hamburger Gruppe Karawane zu einer Kundgebung in der Abflughalle versammelt. Mit Transparenten und in Sprechchören wandten sich die rund 60 Protestler an die Reisenden in den Schalterschlangen und forderten "uneingeschränktes Bleiberecht" und "keine Abschiebungen". Mehrere Dutzend Polizisten und Sicherheitsleute mit Hunden drängten die Gruppe kurz vor 20 Uhr aus dem Gebäude.
Ohnehin hätten die Helfer nicht gesehen, wer später in den Abschiebeflieger gesetzt wurde. Der Bereich der Bundespolizei, durch den Abzuschiebende abgefertigt werden, ist mit Sichtblenden abgeschirmt. Polizeibusse fahren die Menschen direkt ans Flugzeug. Oft haben sie weite Wege hinter sich. Denn Bundesländer und EU-Staaten kooperieren bei Abschiebungen, um Kosten zu sparen.
Die Charter sind für Flüchtlinge reserviert, die in Abschiebe- oder Strafhaft sitzen und den Behörden als "schwer renitent" gelten. Sie reisen in Fesseln und behelmt. Helme nutzt die Polizei nach eigenen Angaben, um Selbstverletzungen der Gefangenen zu verhindern. 1999 war ein Sudanese in dieser Montur erstickt.
Der Flug in der Nacht zu gestern war die zweite Großabschiebung nach Afrika, die Hamburg organisierte. "Aus Sicherheitsgründen" verweigerte der CDU-Senat vorab jede Auskunft. Gestern bestätigte er, 24 Männer seien in einem 167-Plätze-Flieger nach Afrika ausgeflogen worden, jeweils eskortiert von zwei bis drei Bundespolizisten. Auch zwei Ärzte seien an Bord gewesen.
Bei den Abgeschobenen handele es sich um abgelehnte Asylbewerber und Straftäter aus Hamburg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Die Kosten für die 148.000 Euro teure Aktion teilen sich Länder und Bund. Über Zwischenfälle wisse er nichts, sagte Ausländerbehördensprecher Norbert Smekal. Details über den Ablauf kenne nur die Polizei. Die erklärte, sie gebe "generell keine Auskunft zu Rückführungsmaßnahmen".
Die Hamburger Grüne Antje Möller kritisiert das Verfahren als "undurchsichtig und hochproblematisch". Das Sammelverfahren bringe eine zeitliche Verlängerung mit sich und bedeute für die Abzuschiebenden eine "zusätzliche Tortur". Möller bereitet eine Anfrage an Brüssel vor, in der sie erfahren will, ob die Praxis den europaweiten Vereinbarungen entspreche und "ob das ein akzeptabler Umgang mit Flüchtlingen ist".
Eines der Ziele des Hamburger Fluges war neben Guinea und Benin auch Togo - obwohl dort die Menschenrechtslage besonders prekär ist. So warnt amnesty international vor der Verfolgung Oppositioneller und vor Zensur in Togo. Auch die Vereinten Nationen empfehlen, Asylsuchende derzeit nicht in das Land abzuschieben, weil die politische Lage instabil sei. Unter dem im vergangenen Jahr verstorbenen General Gnassingbé Eyadéma galt Togo jahrzehntelang als Militärdiktatur. Als Eyadémas Sohn ihn im April 2005 beerbte und Vorwürfe der Wahlfälschung aufkamen, gab es in dem Land schwere Unruhen mit Toten und Verletzten.
Als einziges deutsches Bundesland hat das rot-rot-regierte Mecklenburg-Vorpommern reagiert und schiebt vorerst nicht in die togolesische Hauptstadt Lomé ab. Innenminister Gottfried Timm (SPD) hat das Thema bei der Innenministerkonferenz nächste Woche in Garmisch-Partenkirchen angemeldet, um über einen bundesweiten Abschiebestopp nach Togo zu reden.
taz Nord Nr. 7956 vom 26.4.2006, Seite 21, 140 TAZ-Bericht Eva Weikert