kehrwieder, 30.09.07 // Ahmed Siala erhebt schwere Vorwürfe gegen Hildesheimer Ausländerbehörde

"kehrwieder" am Sonntag, 31.10.2007; http://www.kehrwieder-verlag.de/index.php?id=artikel Ahmed Siala erhebt schwere Vorwürfe gegen Hildesheimer Ausländerbehörde Von Lothar Veit Lüneburg/Landkreis. Es hätte der Tag der Entscheidung für Ahmed Siala werden können. Sechs Jahre dauert der Rechtsstreit der Familie mit dem Landkreis, der vor zweieinhalb Jahren darin gipfelte, dass Sialas Frau Gazale Salame zusammen mit der jüngsten Tochter Schams und hochschwanger in die Türkei abgeschoben wurde. Seitdem ist er mit den Töchtern Amina und Nura allein, seinen in Izmir geborenen Sohn Ghazi hat er - außer auf Fotos - noch nie gesehen. Auf das Urteil des Lüneburger Oberverwaltungsgerichts waren am Donnerstag deshalb nicht nur Ahmed Siala und seine Unterstützer gespannt, sondern auch Fernsehteams vom NDR, von Pro 7 und Spiegel TV. Der Vorsitzende Richter Dr. Dieter Heidelmann war über die bisherige Berichterstattung bestens informiert. Für bundesweites Aufsehen hatte vor zweieinhalb Wochen eine 15-seitige Reportage im Zeit-Magazin "Leben" gesorgt. Akribisch hatte der Journalist die Leidensgeschichte des Ehepaars Siala/Salame und seiner vier Kinder nachgezeichnet. Er hatte berichtet, wie die 27-jährige Mutter in der Fremde mit zwei Kindern, aber ohne Mann, wie Freiwild behandelt werde. Die Entscheidungen des Landkreises habe sie bis heute nicht verstanden. "Das ist ein rechtlich verwickelter Fall, der nicht einfach zu beurteilen ist", sagt der Richter. Deshalb vertröstet er Ahmed Siala und die Medien auf kommenden Dienstag. Erst dann wolle er die Entscheidung verkünden, dafür aber mit einer fertig ausformulierten Begründung. "Jetzt geht das Hoffen und Bangen weiter", sagt Siala nach der Verhandlung. "Was soll ich nur meiner Frau am Telefon erzählen?" Türken oder nicht? Dieter Heidelmann ist ein besonnener Richter, der systematisch alle rechtlichen Fragen abarbeitet. Im Kern geht es um die Frage, ob Ahmed Siala und seine Frau die Hildesheimer Ausländerbehörde über ihre Staatsangehörigkeit getäuscht haben. Beide seien nach Auffassung des Amtes Türken. Silke Schäfer, Anwältin von Ahmed Siala, sagt dagegen, ihr Mandant sei Libanese. Selbst wenn die Familie in der Türkei registriert sein sollte, habe er die Behörde nicht getäuscht, weil er davon gar nichts wusste. Siala und seine Frau gehören der ethnischen Gruppe der "Mahalmi" an, einer arabischsprachigen Minderheit, die ursprünglich in der Türkei lebte und im Zuge der Türkisierungspolitik unter Atatürk ab Mitte der 1920er-Jahre aus der Türkei in den Libanon floh. Im Libanon werden die Mahalmi als "Kurden" bezeichnet. Ahmed Siala und alle seine elf Geschwister sind im Libanon geboren. Er war nie in der Türkei, hat folglich keinen türkischen Pass und spricht auch kein Türkisch. Die Familie, die der Landkreis in einem türkischen Registerauszug entdeckt hat, weise von den Namen her lediglich eine gewisse Ähnlichkeit mit der Familie Siala auf, so Schäfer. Der Fall hat sich schon so lange hingezogen, dass zwischenzeitlich das Ausländerrecht geändert wurde. Für lange in Deutschland lebende Einwanderer ist es leichter geworden, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Ahmed Siala kam als Sechsjähriger nach Deutschland und lebt seit 22 Jahren hier. Bis vor einem Vierteljahr in Kemme, jetzt ist er mit den Kindern zu seinen Eltern nach Dinklar gezogen. Damit fällt er unter die neue Regelung. Weitere Voraussetzungen: Die Einwanderer sollten die deutsche Sprache beherrschen und faktisch wie wirtschaftlich integriert sein. Auch das trifft auf Siala zu. Außerdem sollen sie sich rechtstreu verhalten haben. Zugestanden wird höchstens eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen. Hier hat Ahmed Siala ein Problem: Im Mai 2004 wurde er wegen Verstoßes gegen das Fleischhygienegesetz zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Erika Korn, Justitiarin des Landkreises, verweist außerdem auf weitere Ermittlungsverfahren: wegen Bedrohung, Erschleichung von Sozialleistungen und einer Ordnungswidrigkeit. Letztere besteht darin, dass er sich Geschäftsführer einer Schlachterei nennt. Ohne Aufenthaltserlaubnis dürfe er sich aber nicht selbstständig machen, so der Landkreis. Siala hat auf alle Vorwürfe eine Antwort: Er übe zwar die Tätigkeit eines Geschäftsführers aus, sei aber seinem Chef unterstellt und somit nicht selbstständig. Das Verfahren wegen Bedrohung sei eingestellt worden, er war bei der Angelegenheit gar nicht dabei, das habe er auch beweisen können. Sozialleistungen habe er ebenfalls nicht erschlichen, er habe während einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit sogar auf Leistungen verzichtet, habe lediglich Mietkosten und Wertgutscheine für die Kinder erhalten. Als sich ein neuer Job abzeichnete, habe er dies der Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde mitgeteilt. Diese sei aber kurz danach versetzt worden und habe nicht mehr mit ihm sprechen dürfen. Die Justitiarin wirkt überrascht, als Sialas Anwältin vorrechnet, dass ihr Mandant sogar Anspruch auf eine Nachzahlung von 9.200 Euro habe. Probleme mit Strafverfahren Die Sache mit dem Fleischhygienegesetz stimme, sagt Ahmed Siala. Er habe mit einem Bekannten, einem in Deutschland ausgebildeten Schlachtergesellen, rund 100 Schafe geschlachtet, ohne sie vorher von einem Tiermediziner untersuchen zu lassen. Er habe diese Vorschrift gar nicht gekannt und außerdem seinem Bekannten vertraut, dass alles seine Richtigkeit habe. Merkwürdig sei, dass er dafür zu 100 Tagessätzen, der Bekannte dagegen nur zu 70 Sätzen verurteilt worden sei. Siala und seine Anwältin erheben schwere Vorwürfe gegen die Ausländerbehörde: "Es wird massiv versucht, ihn in Strafverfahren hineinzudrängen", sagt Silke Schäfer. Erika Korn entgegnet: "Das liegt uns fern." Der Richter nimmt all dies zur Kenntnis, ohne es zu bewerten. Er verweist darauf, dass der Landkreis ja "nicht ganz frei" in seinen Entscheidungen sei, womit er auf das niedersächsische Innenministerium abzielt. Minister Uwe Schünemann hat bereits verlauten lassen, dass er mit einer Entscheidung zugunsten des Landkreises rechnet. Nach der Verhandlung am Donnerstag ist das alles andere als sicher. Richter Dieter Heidelmann kündigt an, dass das Gericht erwäge, die Revision zuzulassen, weil es mit dem Verfahren teilweise Neuland betrete. Ob der Landkreis Hildesheim davon im Falle einer Niederlage Gebrauch machen werde, konnte der Erste Kreisrat Hans-Heinrich Scholz am Freitag auf Nachfrage des KEHRWIEDER noch nicht sagen: "Da müssen wir uns mit dem Innenminister abstimmen." KOMMENTAR Das Oberverwaltungsgericht benötigt einige Tage Bedenkzeit. Man kann es dem Richter kaum verübeln - er ist sich des Medieninteresses bewusst und weiß sehr genau, dass sein Urteil Signalwirkung haben wird. Aber er hat auch klar gemacht, dass es ihm um den konkreten Einzelfall geht. Um nichts anderes geht es Ahmed Siala. Gibt das Gericht ihm Recht, kann seine Ehefrau Gazale Salame in das Land zurückkehren, in dem sie aufgewachsen ist: Deutschland. Siala darf dann zum ersten Mal seinen Sohn Ghazi sehen. Gibt das Gericht hingegen dem Landkreis Recht, hat die Familie alles verloren. In Deutschland kann der Vater von seiner Arbeit die Familie ernähren, er ist kein "Einwanderer in die Sozialsysteme", vor denen einige Innenminister beharrlich warnen. In der Türkei wäre die Familie mittellos, sogar sprachlos. Die Eheleute sind nur in den Akten des Landkreises Türken, im wirklichen Leben sind sie es nicht. Und was ist mit den Vorwürfen, die belegen sollen, dass Ahmed Siala es mit dem deutschen Gesetz nicht so genau nimmt? Sie sind - mit Verlaub - lächerlich. Da drängt sich nun tatsächlich der Eindruck auf, der Landkreis suche verzweifelt nach Abschiebegründen. Was reitet die Behörden nur, eine gut integrierte Familie auseinanderzureißen und seitdem zweieinhalb Jahre verstreichen zu lassen? Wie kann man überhaupt eine schwangere Frau abschieben? Landrat Reiner Wegner verweist Mal um Mal auf Innenminister Uwe Schünemann. Der Lüneburger Richter hat dagegen betont, dass es in dem Fall zwar um Paragraphen geht, vor allem aber um ein nervenzehrendes Familienschicksal. Solche Sätze kommen dem Landrat einfach nicht über die Lippen. Dass er Anweisungen des Innenministers befolgen muss, ist die eine Seite. Aber er könnte zumindest wie seine Vorgängerin deutlich machen, dass er dies ungern tut - wenn es denn so sein sollte.