PE: Nach 100 Tagen: Bleiberechtsregelung kaum umgesetzt! Aktionstag für das ganze Bleiberecht

Arbeitskreis Asyl Göttingen Pressemitteilung 19.2.07 >>>Text als PDF-Datei<<< Nach 100 Tagen: Bleiberechtsregelung kaum umgesetzt Niedersachsen setzt auf Ausgrenzung! Aktionstag für das ganze Bleiberecht Mit einem bundesweiten Aktionstag wollen Bleiberechtsgruppen am kommenden Wochenende in 16 Städten gegen die schleppende Umsetzung der Bleiberechtsregelung protestieren. In Niedersachsen haben bisher lediglich 49 von insgesamt 22.600 Geduldeten ein Bleiberecht erhalten. In Göttingen liegt die Quote bei unter 0.5%! Für den Donnerstag ruft das Göttinger „Aktionsbündnis Bleiberecht!“ auf zu einer Demonstration zur Ausländerbehörde. „Ab Morgen Früh können langjährig Geduldete ihr Bleiberecht bekommen.“ Dieses große Versprechen gaben die Innenminister der Länder nach ihrer Konferenz in Nürnberg am 17.11.06. Sie einigten sich auf eine „Bleiberechtsregelung“ für die rund 200.000 Menschen, die seit Jahren lediglich mit einer „Duldung“, d.h. ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland leben müssen. Am 24. Februar ist die Bleiberechtsregelung seit 100 Tagen in Kraft und die Zahlen zur Umsetzung zeigen, dass die Regelung die Zustand der „Duldung“ nicht verändert hat. In Göttingen haben bis zum 15. Februar 0,5 % der geduldeten Flüchtlinge und Migrant_innen ein Bleiberecht erhalten! Von insgesamt 1301 geduldeten Menschen in Stadt und Landkreis Göttingen bekamen lediglich 7 ein Bleiberecht. Die Hürden der Verhinderung des Bleiberechts liegen sowohl in den durch die IMK gesetzten Ausschlusskriterien, wie auch in den unbestimmten Teilen der Regelung: Viele Passagen der Regelung werden nach dem Ermessen der Ausländerbehörde der ausgelegt: In Göttingen ist beispielsweise der gleiche „Sachbearbeiter“ für die Bearbeitung der Anträge zuständig, der seither für „Aufenthaltsbeendigung“ (Selbstbezeichnung) zuständig war und ist. In Niedersachsen haben von insgesamt 22.600 Geduldeten bis Ende Dezember lediglich 49 Personen ein Bleiberecht erhalten. Wenn Innenminister Schünemann bei diesen Zahlen der Nichtumsetzung davon spricht, dass „Integration für die Landesregierung ein zentrales Anliegen sei“, ist dies Augenwischerei. Ohne ein gesichertes Bleiberecht bleiben in Niedersachsen weiter tausende Menschen an den Rand gedrängt: Unter der CDU-Regierung ist es gängige Praxis, Geduldete in Abschiebelagern, wie in Bramsche, unter zu bringen. Geduldete unterliegen der Residenzpflicht, haben keinen Anspruch auf Sprachkurse oder andere sog. Integrationsmaßnahmen. Zudem besteht in Niedersachen noch immer das Gutscheinsystem, dass für eine Vielzahl geduldeter Menschen die Auszahlung der Sozialleistungen in speziellen Gutscheinen vorsieht. Angesichts dieser gezielten Politik der Ausgrenzung ist die Beschwörung der Integration durch den IM schlichtweg Geschwafel. In Göttingen und in 15 weiteren Städten werden am kommenden Wochenende öffentliche Aktionen für das „ganze Bleiberecht“ stattfinden. Die Termine und Aktionen sind abrufbar auf der folgenden Internetseite: http://100tage.bleiberechtsbuero.de/ In Göttingen ruft das „Aktionsbündnis Bleiberecht“ auf zu einer Demonstration zur Ausländerbehörde im Neuen Rathaus. Im Mittelpunkt wird dabei die Situation geduldeter Migrant_innen und Flüchtlinge aus Göttingen stehen. Donnerstag, 22.2., Beginn um 14 Uhr am Markt / Liesel Öffentliche Pressekonferenz um 15.30 vor dem Neuen Rathaus Kontakt: 0176-23294274 und www.papiere-fuer-alle.org/bleiberecht Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung zu Inhalt und Umsetzung der Regelung. Der Text stammt aus dem Aufruf des „Aktionsbündnis Bleiberecht!“ Geduldet? Etwa 200.000 Menschen leben in der BRD mit dem Status der Duldung. Werden die Personen hinzu gezählt, die sich im Abschiebeverfahren befinden, in den Abschiebeknästen sitzen oder lediglich solche Titel wie Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt bekommen haben, dann sind es insgesamt 360.000 Menschen, die von Behörden als „ausreisepflichtig“ geführt werden. Die meisten leben seit vielen Jahren in der BRD oder sind hier geboren. Ihre Abschiebung ist nicht möglich, dennoch gelten sie als „ausgewiesen“ und unterliegen damit bestimmten Gesetzen, die konkret massive Entrechtung bedeuten: Sie bekommen Gutscheine und gekürzte Sozialleistungen, es ist ihnen verboten zu arbeiten oder einen eigenen Wohnsitz zu wählen. Sie unterliegen der Residenzpflicht und haben keinen Anspruch auf Sprachkurse oder sog. „Integrationsmaßnahmen“. In den letzten Jahren haben sich immer häufiger „Geduldete“ gegen diesen Status zur Wehr gesetzt und damit erreicht, dass es einen breiten Konsens für eine Bleiberechtsregelung gibt. Die Regelung die am 17.11.2006 von Innenministerkonferenz (IMK) verabschiedet wurde, steht allerdings weiter in der Logik der Entrechtung und Abschiebung. Sie ist das „humanitäre Feigenblatt“, mit dem die massenweise Abschiebung von langjährig geduldeten Menschen durchgesetzt werden soll. So wird immer wieder behauptet, wer keine Straftaten begangenen habe, wer bereit sei zu arbeiten, Deutsch spreche und „integriert“ sei, könne nun ein Bleiberecht erhalten. Die Übrigen könnten dann mit der geplanten weiteren Verschärfung der sozialen Situation und neuen Instrumenten der Schikanen und Abschiebungen, aus dem Land getrieben werden. Was hinter dieser Argumentation steckt, wollen wir an einigen ausgewählten Punkten der Regelung deutlich machen: Straftaten Wer zu insgesamt 50 oder 90 Tagessätzen Strafe verurteilt worden ist, hat keinen Anspruch auf das Bleiberecht. Für langjährig Geduldete ist es schwer, nicht nach einem der speziellen Ausländergesetze verurteilt zu werden, z.B. der Residenzpflicht: Wer seinen zugewiesen Landkreis wiederholt verlassen hat, hat sich bereits strafbar gemacht. Nicht selten kommt es bei Polizeikontrollen zudem zu Übergriffen und Verletzungen durch die Beamten. In der Folge werden die Kontrollierten mit Verfahren wegen Widerstand oder Körperverletzung überzogen. Auch die Erfüllung der Passpflicht endet für viele Flüchtlinge mit einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung: Viele Identitätsnachweise werden von den Behörden als Fälschungen angezeigt. Passpflicht Nur mit einem gültigen Nationalpass hat eine Person Anspruch auf das Bleiberecht. Die Ausländerbehörde in Northeim beispielsweise verlangt, dass zunächst der Pass abgegeben wird, bevor alle anderen Kriterien der Regelung geprüft werden. Die Passbeschaffung kann einige Monate dauern. Falls die Ausländerbehörde dann allerdings nach einem der anderen Kriterien ablehnt, steht der Abschiebung nichts mehr im Wege. Besonders perfide ist diese Praxis bei den libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Sie gelten den Behörden als türkische Staatsangehörige. Nur wenn sie diese türkische Identität annehmen, wird ihr Antrag bearbeitet. Es liegt auf der Hand, wie sich die Behörden in Northeim und Göttingen verhalten werden, wenn sie im Besitz der Pässe sind: Sie schieben ab! Mitwirkungspflicht Für Geduldete besteht die Pflicht, an ihrer Abschiebung mitzuwirken. Haben sie diese Pflicht bisher nicht erfüllt, kann ihnen das Bleiberecht versagt werden. Wenn also nun ein Pass vorgelegt wird, wie es die Ausländerbehörde verlangt, kann dies von der Behörde als „Nichterfüllen der Mitwirkungspflicht“ ausgelegt werden (weil der Pass schon früher hätte vorgelegt werden können). Diese Auslegung liegt im Ermessen der Behörden. Die Mitwirkungspfllicht kann schon dann als „nicht erfüllt“ angesehen werden, wenn beispielsweise gegen eine drohende Abschiebung erfolgreich Rechtsmittel eingelegt worden sind. Arbeit Es kommt bei der Regelung nicht allein darauf an, ob jemand arbeitet. Ausschlaggebend ist die Höhe des Lohns. Für eine Familie mit vier Kindern, müsste der Betrag der nach Abzug von Miete und Nebenkosten übrig bleibt z.B. bei ca. 1600 Euro liegen. Dass es für Menschen, die seit Jahren unter einem Arbeitsverbot hier leben, deren Ausbildung oftmals nicht anerkannt wird und denen zudem durch die Schikanen der Behörden und den Abschiebedruck massiv zugesetzt worden ist, nahezu unmöglich sein wird, eine entsprechende Arbeit zu finden, liegt auf der Hand. Arbeitsunfähige oder Menschen im Rentenalter haben nur dann Anspruch auf das Bleiberecht, wenn von dritter Seite für ihren Unterhalt und die medizinische Versorgung und Pflege gesorgt wird. Das Bleiberecht wird zudem nur für die Dauer des Arbeitsvertrages gewährt und alle zwei Jahre neu überprüft: Sinkt der Lohn, steigt die Miete oder kommt ein Kind hinzu, kann das die Abschiebung bedeuten. Viele weitere Kriterien und Ermessensspielräume der Behörden machen die Regelung zu einem Risiko für die Betroffenen und an der Unsicherheit des Aufenthalts ändert sich nichts. Zugelassen zur Reglung wird nur, wer zunächst alle Asyl- und verwaltungsrechtlichen Verfahren die auf einen Aufenthalt ausgerichtet sind, abbricht und zurück nimmt. Also, erst wenn alle Hindernisse gegen die Abschiebung ausgeräumt sind, wird der Antrag bearbeitet. Und dann liegt es im Ermessen der Abschiebebeamten, ob das Bleiberecht gewährt wird!