29.1.07 // HAZ: Abgeschoben in ein fremdes Land. Der Fall Gazale Salame und die Folgen
HAZ vom 29.01.07:
Abgeschoben in ein fremdes Land
Der Fall Gazale Salame und die Folgen: Wie Mahalmis im Kreis
Hildesheim um ihr Bleiberecht kämpfen
Von Saskia Döhner
*Hildesheim.* "Endlich." Die Erleichterung in der Stimme von Dietrich
Wollschläger ist unüberhörbar. Jahrelang hat der Braunschweiger Anwalt
dafür gekämpft, dass seine Mandantin Fatushe Jefkaj in Deutschland
bleiben darf. Die Ausdauer hat sich gelohnt: Die 25-jährige
Restaurantfachfrau aus Duingen ist die Ausländerin, die im Landkreis
Hildesheim von der neuen Bleiberechtsregelung profitiert. Sie hat jetzt
eine auf zwei Jahre befristetete Aufenthaltserlaubnis.
Für Werner Schwarz, Fachdienstleiter in der Ausländerbehörde, ist die
junge Frau "geradezu ein Paradebeispiel für Integration". Als
Zehnjährige war sie mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern aus dem
Kosovo geflüchtet. Sie machte ihren Realschulabschluss, absolvierte eine
Lehre zur Restaurantfachfrau in einem Hotel bei Alfeld, von dem sie auch
gleich übernommen wurde.
Fatushe Jefkaj darf jetzt bleiben -- vorerst zumindest. Die Zeiten, in
denen sie sich von Duldung zu Duldung hangelte, sind erst einmal vorbei.
Bei Ahmed Siala hingegen dauert der Schwebezustand an. Er war sechs
Jahre alt, als er mit seiner Familie während des libanesischen
Bürgerkriegs von Beirut nach Deutschland kam. Ihr Asylantrag wurde zwar
1988 abgelehnt, aber als staatenlose Kurden aus dem Libanon erhielt die
Familie aufgrund der Bleiberechtsregelung von 1990 eine unbefristete
Aufenthaltsgenehmigung.
Auch Ahmed Siala gehört einer ethnischen Minderheit an: den Mahalmis.
Durch die Odyssee seiner Frau Gazale Salame rückt ihr Schicksal jetzt
ins Licht der Öffentlichkeit. Die Mahalmis sind ein arabisch-kurdischer
Stamm, der ursprünglich in Ostanatolien zwischen Mardin, Savur und
Midyat siedelte. Um 1920 wandern viele der Savur-Mahalmi in den Libanon
aus, um der Armut und der Zwangstürkisierung zu entfliehen. Im Libanon
gelten sie als Ausländer. Als in den achtziger Jahren der Bürgerkrieg
ausbricht, fliehen zahlreiche Mahalmis aus Beirut nach Westeuropa,
darunter auch die Sialas, aber auch die Familie Salame. Unklar ist, wie
viele Mahalmis derzeit in Niedersachsen leben. Im Kreis Hildesheim
werden sie jetzt jedenfalls auf bittere Weise von ihrer Vergangenheit
eingeholt.
Nach Ansicht der Ausländerbehörde ist Ahmed Siala Türke, obwohl er 1995
die libanesische Staatsangehörigkeit angenommen hat. Einträge in
türkischen Registern belegten dies. Siala weist dies weit von sich: "Ich
bin im Libanon geboren und war nie in der Türkei, ich spreche überhaupt
kein Wort Türkisch", sagt der 28-Jährige in astreinem Hochdeutsch. Mit
dem Heimatland seines Urgroßvaters verbinde ihn nichts.
Entscheidend sei nicht, in welchem Land man gelebt habe oder wo man
geboren sei, sondern welche Staatsangehörigkeit man habe, erläutert Paul
Middelbeck, Referatsleiter für Asylrecht im niedersächsischen
Innenministerium. Das von einem türkischen Vater gezeugte oder von einer
türkischen Mutter geborene Kind, egal an welchem Ort es zur Welt komme,
besitze von Geburt an die türkische Staatsangehörigkeit, heißt es beim
Kreis Hildesheim.
Tatsächlich aber fühlen sich Menschen wie Gazale Salame oder Ahmed
Siala, die fast ihr gesamtes Leben in Deutschland verbracht haben,
überhaupt nicht als Türken. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat
kritisiert, dass der Kreis Hildesheim mit besonderer Härte gegen die
Mahalmis vorgeht: "Wir haben rund 15 Fälle, in denen Menschen nach 20
Jahren in ein völlig unbekanntes Land abgeschoben werden sollen", sagt
Geschäftsführer Kai Weber. Andere niedersächsische Kreise seien da viel
großzügiger. Brüder, Onkel und Cousins von Ahmed Siala, die in Leer,
Hameln, Hannover oder Stadthagen leben, haben in der Tat längst
unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen oder sind deutsche Staatsbürger.
Mahalmis im Kreis Hildesheim dagegen scheinen es ungewöhnlich schwer zu
haben. Statt zweijährige Aufenthaltsgenehmigungen wie andererorts
bekommen viele nur auf drei Monate befristete.
Bei dem Tontechniker ******** [nachträglich anonymisiert] (33) aus
Sarstedt, der mit seinen Eltern ebenfalls 1985 aus Beirut geflohen war,
hatte der Landkreis sogar versucht, unter Berufung auf 50 Jahre alte
türkische Register ihm die deutsche Staatsangehörigkeit wieder abzuerkennen.
Und das acht Jahre nach seiner Einbürgerung. Der Landkreis Hildesheim
und das Innenministerium wehren sich gegen den Vorwurf, Mahalmis besonders
rigide zu behandeln: Vorbehalte gegen bestimmte Volksgruppen gebe es nicht,
heißt es. "Geprüft wird immer der Einzelfall."
*Gazale Salame mit ihrem Baby. Die 24-Jährige wurde schwanger in die
Türkei abgeschoben. Von ihrer Familie konnte sie sich nicht mehr
verabschieden. * Schams
Die Odyssee der Gazale Salame
*l 10. Februar 2005:* Polizisten holen die 24-jährige Gazale Salame aus
ihrer Wohnung in Algermissen ab, um sie in die Türkei abzuschieben. Die
im zweiten Monat schwangere Frau ist mit ihrer einjährigen Tochter
Schams allein zu Hause, ihr Ehemann Ahmed Siala bringt gerade die beiden
anderen Töchter Nura (7) und Amina (8) zur Schule. Von ihrer Familie
kann sich Gazale Salame nicht mehr verabschieden. Der Landkreis führt
als Begründung an, dass Gazale habe bei ihrer Einreise nach Deutschland
-- damals war sie sieben Jahre alt -- die Behörden getäuscht und ihre
türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen habe. Das Verwaltungsgericht
Hannover stimmt der Entscheidung in einem Eilverfahren zu.
*l 12. Februar 2005:* Gazale Salame kommt bei Bekannten ihrer Eltern in
Izmir unter, später zieht sie in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung eines
nicht isolierten Hauses im Armenviertel der Stadt.
*l 31. August 2005:* Ihr Sohn Ghazi wird geboren.
*l 21. Juni 2006:* Das Verwaltungsgericht entscheidet, dass Ahmed Siala
kein türkischer Staatsbürger ist, sondern seine Familie seit Mitte der
fünfziger Jahre nachweislich im Libanon gelebt hat. Der Landkreis soll
über Sialas Aufenthaltserlaubnis neu entscheiden.
*l August 2006:* Landrätin Ingrid Baule setzt sich beim Innenministerium
für Gazale Salames Rückkehr ein. Doch das Land bleibt hart und weist den
Kreis an, gegen das Urteil in die Berufung zu gehen.
*l November 2006:* Das Verwaltungsgericht verpflichtet den Kreis, Gazale
Salame und ihren Kindern die Einreise zu ermöglichen und ihnen eine
befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Auch gegen diesen
Beschluss legt der Kreis auf Weisung des Innenministeriums Beschwerde
beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg ein.
*l 5. Januar 2007: *Das OVG hebt den Beschluss des Verwaltungsgerichts
zur Wiedereinreise wieder auf. Es gebe kein Recht auf
Familienzusammenführung, da ihr Mann und die beiden älteren Töchter
keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hätten. Zudem stehe einer
Familienzusammenführung im Libanon oder in der Türkei nichts im Weg. dö