Flüchtlingsrat kritisiert „Rechtsbeugung“ des Landkreises Göttingen
Göttingen. Der Flüchtlingsrat legte am Dienstag beim Landkreis Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Sozialdezernenten Franz Wucherpfennig und eine Sachbearbeiterin ein. Zugleich kündigte Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, „eine Beschwerde bei der zuständigen Fachaufsicht im niedersächsischen Innenministerium“ an.
Es geht um die medizinische Behandlungen von Kranken, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. In einem Schreiben an die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) weist der Landkreis auf den eingeschränkten Leistungsanspruch von Asylbewerbern hin: „Hier dürfen nur dann Leistungen gewährt werden, wenn dies bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen erforderlich ist.“ Die Behandlung müsse „zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder einer unaufschiebbaren und unabweisbar gebotenen Behandlung einer schweren und ansteckenden Erkrankung zwingend geboten“ sein. Andernfalls sei eine Übernahme der Kosten nicht möglich.
Harald Jeschonnek, KVN-Geschäftsführer: „Soweit ich das ermitteln konnte, lehnt der Landkreis Göttingen uns gegenüber nicht die Übernahme der Kosten der Behandlung einzelner Beschwerden ab, sondern ohne inhaltliche Prüfung alle Leistungen, die aufgrund von Überweisungen ohne Hinweis auf den eingeschränkten Leistungsanspruch und Genehmigung des Landkreises erfolgt sind.“ Im Klartext: Die Überweisung an einen Facharzt muss vom Gesundheitsamt im Auftrag des Landkreises überprüft und genehmigt werden. Andernfalls wird nicht gezahlt.
Der Landkreis Göttingen habe deshalb erstmals für das erste Quartal 2011 in einem größeren Umfang die Kostenübernahme für Leistungen von Asylbewerbern abgelehnt. „Es handelt sich hierbei um 33 Fälle, in denen eine Überweisung an einen weiterbehandelnden Arzt ausgestellt wurde, ohne dass darauf hingewiesen wurde, dass für Asylbewerber ein eingeschränkter Leistungsanspruch bestehe und ohne dass eine Genehmigung für die Behandlung eingeholt worden ist“, so Jeschonnek. Das für diese Fälle in Rechnung gestellte Honorar betrage 1764,78 Euro.
Der Landkreis Göttingen weist die Vorwürfe zurück. Die zuständige Behörde „wendet die Gesetze so an, dass keinem Asylbewerber notwendige Krankenhilfe versagt wird“ betont Kreis-Pressesprecher Marcel Riethig.
Der Gesetzgeber habe es gewollt, dass Asylbewerber nicht das gleiche Niveau der Gesundheitsversorgung erhalten, wie etwa gesetzlich Krankenversicherte. Riethig: „In Notfällen kann eine Behandlung von Asylbewerbern sofort vorgenommen werden. In anderen Fällen bedarf es einer Genehmigung seitens des Landkreises, der für die Behandlung der Asylbewerber die Kosten trägt.“ Das Gesundheitsamt bewerte nach rein ärztlichen Kriterien und nicht nach Kassenlage. Bei bekannten Vorerkrankungen entfalle zudem die Untersuchung und der Genehmigungsvorbehalt.
„Der Landkreis Göttingen macht keine Gesetze. Er ist dafür zuständig, dass die Gesetze eine einwandfreie Anwendung finden. Mit dem Verfahren zur Krankenhilfe bei Asylbewerbern wird dies gewährleistet. „Uns ist kein Fall bekannt, bei dem die Gesundheit von Menschen unter dem Verfahren leidet“, versichert Riethig. „Wir begrüßen es sehr, dass sich die Flüchtlingshilfe für humane Gesetze einsetzt. Die Dienstaufsichtsbeschwerde wird nun klären, ob die Praxis im Landkreis tatsächlich rechtswidrig ist.“ Das Innenministerium habe derweil dem Landkreis signalisiert, dass es dafür keine Hinweise gebe.
Von Lukas Breitenbach (Quelle: Göttinger Tagblatt vom 10.01.2012