„Grüne machen Scheiße!“Der Bleiberechtskampf der Roma 2002

Amen acas kate! – Wir bleiben hier! Unter diesem Motto steht der Protest vieler Roma aus Ex-Jugoslawien in den vergangen Monaten. Seit April 2002 kämpfen sie für ein Bleiberecht. Ziemlich auf sich allein gestellt und in der deutschen Bevölkerung oftmals eher mit Rasssismus und Antiziganismus konfrontiert als mit Solidarisierungen, setzten sie auf das Mittel des zivilen Ungehorsams, um überhaupt Gehör zu finden. Der Verlauf der Proteste war seit Anfang des Jahres sehr kurvenreich. Nach der Protestkarawane im Frühsommer, einigten sich Düsseldorfer und Essener Roma, während des Wahlkampfes nichts zu machen, viele grüne Landes- und BundespolitikerInnen hatten sich mit ihren Forderungen solidarisiert und Unterstützung zugesagt. Nach der Wiederwahl allerdings, sind die Versprechen vergessen. „Grüne machen Scheiße“ – war die treffende Antwort der Roma. Mit Besetzungen und Kundgebungen lebte der Protest vor den Innenministerkonferenzen (IMK) wieder auf. Die Bleiberechts-Karawane Nach ersten Abschiebungen von Roma aus Essen kamen im April 2002 immer mehr Roma-Familien in der Essener Unterkunft Portendiekstrasse zusammen. Bald war das Haus überfüllt und die ersten begannen, draußen zu campieren. Das Anliegen der 500 Familien die sich versammelt hatten, war in erster Linie Schutz vor und Protest gegen Abschiebung. Bald zogen sie in die Essener Innenstadt, um dort ihre Zelte aufzuschlagen, kehrten jedoch aus „Respekt vor der Polizei“ in die Unterkunft zurück. Der Dauerprotest setzte sich in Bremerhaven zur IMK am 5. Juni fort. Die Innenminister kündigten die Abschiebung von Roma – auch ins Kosovo – „noch in diesem Jahr“ an. In Bremerhaven startete die Karawane, die ihren Protest durch ca. 10 weitere Städte trug. Die erste Station nach der IMK war Berlin. 650 angereiste Roma wurden von der Stadt Berlin in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht – ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihren Protest durchzuführen. Doch schon am 7. Juni wurde die Unterkunft von einem großen Polizeiaufgebot umstellt. Die Roma mussten ihre Papiere abgeben und wurden durchsucht. „Damit nicht genug. Die Polizisten „markierten“ sie provisorisch mit Armbändern aus Plastik. „Zwei Frauen fielen in Ohnmacht, andere wollten in Panik aus der sechsten Etage springen und die Kinder schrien vor Angst“, berichtet Dzoni Sichelschmidt, ein Sprecher des CIAE Roma e.V.“1 Am 10. Juni demonstrierten 500 Roma in Berlin für ein Bleiberecht und am folgenden Tag gegen die geplante Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der BRD und der BR Jugoslawien zur beschleunigten Abschiebung vor der jugoslawischen Botschaft. Am 13. Juni erreicht die Karawane Hannover. Der Hannoveraner Verein Romane Aglonipe – Roma aus Niedersachsen e.V. veranstaltete am 13.6. eine Demonstration in der Innenstadt Hannovers und anschließend eine Pressekonferenz. Bereits im Mai hatte der Verein mehrtätige Protestkundgebungen vor dem Niedersächsischen Landtag unter dem Motto „Flucht und Vertreibung der Roma beenden“ organisert. Von Hannover zog die Karawane einige Tage später weiter über Bielefeld nach Münster, Wuppertal und Köln. Am 21. Juni erreichte sie die vorerst letzte Station. In einer „Zeltstadt“ auf öffentlichen Plätzen in Düsseldorf setzten 500 Roma ihren Dauerprotest gegen die Abschiebung, der bis heute andauert, fort. Auch in anderen Städten geht der Protest weiter. In Berlin demonstrierten 200 Roma am 16. September vor dem Bundesinnenministerium gegen die Unterzeichnung des Abschiebeabkommens mit der BRJ. Schily und sein jugoslawischer Kollege Zivkovicin vereinbarten „moderne Rückübernahmenstandards“ (!) die vor allem Roma aus Ex-Jugoslawien betreffen. Rest-Jugoslawien erklärt sich damit zur Aufnahme all jener bereit, die noch über einen blauen Pass oder anderweitige Ausweispapiere der früheren Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien verfügen – auch wenn diePapiere ungültig geworden sind oder die Betroffenen aus der Staatsangehörigkeit entlassen sind. So können Roma aus Mazedonien und dem Kosovo künftig nach Serbien oder Montenegro abgeschoben werden. Mehr als nur Wahlkampfblasen In der Hochzeit des Wahlkampfes bis zum 22. September hielten sich viele Roma - insbesondere die des Protestcamps in Düsseldorf - mit ihrem Protest zurück. Der Grund: Grünen-PolitikerInnen hatten sich mit der Forderung nach Bleiberecht solidarisiert und ihre Unterstützung zugesagt. Das blieb freilich heiße Luft. Und nach dem Wahltermin änderte sich die grüne Einstellung zu diesem Protest augenscheinlich. Um die Grünen an ihre Zusagen und Versprechen aus Vor-Wahlkampf-Zeiten zu erinnern wollten die Roma aus der Düsseldorfer Zeltstadt eine Kundgebung bei deren Delegiertenkonferenz in Bremen abhalten.. Doch dazu kam es erst gar nicht. Als sie sich am frühen Morgen des 18. Oktober mit Bussen auf den Weg nach Bremen machen wollten, wurden sie noch auf dem Platz von massiver Polizeipräsenz an der Abfahrt gehindert. Die Begründung: „Vorbereitung einer Straftat“; wobei mit „Straftat“ die Verletzung der Residenzpflicht gemeint war, bei der es sich allerdings um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Was wohl eher Hintergrund der Aktion war, schreibt die Antirassistische Initiative Berlin in einer Pressemitteilung: „Mit Drohgebährden der Düsseldorfer Polizei und mit der tatsächlichen Verhinderung der Abfahrt der Busse, versucht die Politik jetzt mit Gewalt, den Widerstand der Roma-Flüchtlinge zu brechen.“2 Zweihundert Roma zogen nach der Polizeiaktion zu Fuß los - Richtung Bremen., erklärten sie. Es ging zu Fuß z.T. über die Autobahn und mit Bussen weiter nach Essen. Dort wurde die Karawane schließlich gestoppt: Für alle Flüchtlinge des Camps wurde die Bewegungsfreiheit auf den Regierungsbezirk Düsseldorf beschränkt – und der endet in Essen. Ein weiterer Versuch, den Widerstand zu brechen ist der Versuch, den Roma-Sprecher Metusch Berati abzuschieben. Gegen die für Anfang November angesetzte Abschiebung gingen am 2. November 500 Menschen in Düsseldorf auf die Straße. Berati ist seitdem untergetaucht. Nach der Zuspitzung des Konflikts durch die Polizeieinsätze und nach den gebrochenen Versprechungen und Vertröstungen der Grünen, sind diese selbst immer häufiger Ziel der Kritik. IMK Bremen Der Protest im November richtete sich bereits gegen die Innenministerkonferenz Anfang Dezember in Bremen. Am 18.11. besetzten Roma die Landesgeschäftsstelle der mitregierenden und mitabschiebenden PDS in Berlin. Sie fordern ein Gespräch mit Innensenator Körting. Körting versprach am 20.11. einen Antrag für ein Bleiberecht der Roma auf der IMK einzubringen und bis zur Entscheidung nicht abzuschieben. Doch bereits zwei Tage später sollte eine Roma-Familie von Körtings Behörden abgeschoben werden. Der Versuch scheiterte, da sich die Mutter an dem betreffenden Tag im Krankenhaus befand – am Vorabend hatte sie versucht sich ob der bevorstehenden Abschiebung das Leben zu nehmen. Im Übrigen kam Körtings IMK-Vorschlag – wie zu erwarten – nicht durch. Auch in Düsseldorf gab es eine Besetzung. Am 27.11. besetzten Düsseldorfer Roma die Landeszentrale der nordrhein-westfälischen Grünen. Sie forderten ein Gespräch mit den PolitikerInnen, die sich unlängst zuvor ihrer Forderung nach Bleiberecht angeschlossen hatten. Die Antwort überbrachten ihnen andere „Grüne“: Polizei kam in der ersten Nacht der Besetzung und räumte im Auftrag der selbsternannten Menschenrechtspartei das Gebäude. Eine Woche später fand die Innenministerkonferenz in Bremen statt. Roma aus verschiedenen Städten und libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge aus Northeim und Bremen planten dort gemeinsam für ein allgemeines Bleiberecht zu demonstrieren. Als in Bremen am 4.12. morgens in der Lokalpresse zu lesen ist, dass der Vorsitzende der Ministerrunde, Bremens Innensenator Kuno Böse, mit einer geringen Beteiligung an der Flüchtlingsdemo rechnet und auf die Durchsetzungskraft seiner Kollegen setzt („Es muss gelingen, Menschen, die räumlichen Beschränkungen unterliegen, an der Anreise zu hindern“)3, durchsuchen 20 Mitarbeiter der Polizei und der Ausländerbehörde das Protestcamp der Roma in Düsseldorf. „Die Behördenmitarbeiter weckten die Roma durch Fußtritte gegen die Matratzen, leuchteten ihnen in die Gesichter und verlangten die Papiere zu sehen. Die Roma verweigerten sich einer Personalienüberprüfung und mobilisierten innerhalb kürzester Zeit rund 50 Unterstützer, woraufhin die Behördenvertreter unverrichterter Dinge wieder abziehen mußten. Die Überprüfungsaktion war auf ein Amtshilfeersuchen der Stadt Essen hin durchgeführt worden“4 Gesucht wurden fünf Roma, die abgeschoben werden sollten. Nach der polizeilichen Weckaktion besetzten sie die Landesgeschäftsstelle der SPD in Düsseldorf, erinnerten jene SPD-PolitikerInnen an die zugesagte Unterstützung und forderten einen sechsmonatigen Abschiebestopp vom Land NRW. SPD-PolitikerInnen sagten zu, sich dafür einzusetzen. Am folgenden Tag, den 5.Dezember forderten in Bremen rund zweihundert Menschen – Roma und libanesischen Bürgerkriegsflüchtlinge aus ungefähr sieben Städten und deutsche UnterstützerInnen –vor der IMK ein allgemeines Bleiberecht. In Sicht- und Hörweite der Innenminister hielten sie während des Treffens in Bremen Mittags eine Kundgebung ab. Viele der Teilnehmenden, besuchten auch die anschließende Demonstration linker Bremer Gruppen, die sich gegen die von den Innenministern beschlossenen Massenabschiebungen, den Kontroll- und Sicherheitswahn und die deutsche Kriegspolitik richtete. Ungefähr tausend Menschen nahmen an der Demonstration teil, die mit einem massiven Polizeiaufgebot und begleitet von Wasserwerfern und Räumpanzern um die Bremer Innenstadt geleitet wurde. Währenddessen beschloss die Ministerrunde kein Bleiberecht. Auch im Winter wird weiter abgeschoben. Im Frühjahr ist mit dem Beginn der Massenabschiebungen ins ehemalige Jugoslawien zu rechnen. Angesichts der bevorstehenden Neuauflage rassistischer Stimmungsmache bei der erneuten Diskussion des sog. „Zuwanderungsgesetztes“ ist es noch immer dringlich, Roma-Flüchtlinge und andere Flüchtlingsgruppen, die für ein Bleiberecht kämpfen, zu unterstützen. Die, die ihre Abschiebung nicht einfach hinnehmen und sich kollektiv zur Wehr setzen, sind zunehmender Repression und Verfolgung auf vielerlei Weise ausgesetzt. Sie haben unsere Solidarität im Kampf gegen Entrechtung und den Rassismus in Staat und Gesellschaft dringend nötig. peter kerbel

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