24.8.07 // PE: Erklärung zu Mügeln: Flüchtlingsrat fordert Abkehr von staatlicher Abschreckungspolitik gegen Flüchtlinge
Presseerklärung des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 24.08.2007
Rassismus und rechte Gewalt sind auch in Niedersachsen verbreitet
Flüchtlingsrat fordert Abkehr von staatlicher Abschreckungspolitik gegen
Flüchtlinge
Rassismus und Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten/innen sind kein
ostdeutsches Phänomen: Von Januar bis Juni 2007 sind insgesamt 339
Gewalttaten von rechten Schlägern registriert worden, bei denen 324
Personen verletzt wurden. Die meisten Gewalttaten wurden in
Niedersachsen (58) verübt, danach folgen Sachsen (39),
Nordrhein-Westfalen (36), Berlin (34), Brandenburg (33) und
Mecklenburg-Vorpommern (23).
Es ist erfreulich, dass die offizielle Politik nach der Hetzjagd im
sächsischen Mügeln ein entschlossenes Handeln gegen die Täter
angekündigt haben. Das Problem des Rassismus in Deutschland lässt sich
jedoch nicht auf Gewaltexzesse alkoholisierter Schläger reduzieren, es
hat strukturelle Ursachen.
Flüchtlinge gehören zu denjenigen, die häufig von Gewalt und
Diskriminierung betroffen sind. Kaum jemand macht sich jedoch die Mühe,
mit den Betroffenen selbst zu sprechen. Eine vom Flüchtlingsrat
Niedersachsen und PRO ASYL im Jahr 2006 erstellte Studie dokumentiert
die Erfahrungen von Flüchtlingen in Deutschland.* Die Studie belegt,
dass die Betroffenen nicht nur die Gewalt der Straße, sondern auch einen
Rassismus von Beamtinnen und Beamten beklagen. Fast jeder zweite
dunkelhäutige Flüchtling berichtet, dass er ständig von der Polizei
angehalten und ohne ersichtlichen Grund, im Amtsdeutsch
„verdachtsunabhängig“, kontrolliert werde. Andere Flüchtlinge klagen
über Restriktionen und schikanöse Behandlung auf den Ämtern.
Es liegt auf der Hand, dass es eine Wechselwirkung gibt zwischen dem
staatlichen Umgang mit Flüchtlingen und der Behandlung, die Flüchtlinge
durch Teile der Bevölkerung erfahren: Wenn die offizielle Politik
Flüchtlinge ausgrenzt und diskriminiert, fühlen sich bestimmte Gruppen
aufgerufen, die Vertreibung der Betroffenen in die eigene Hand zu
nehmen. Daher müssen wir, wenn wir von Diskriminierung reden, auch die
behördlichen und gesetzlichen Regelungen in den Blick nehmen, etwa:
- die Pflicht für Asylsuchende und Geduldete, einen bestimmten
Wohnbezirk nicht zu verlassen (sog. Residenzpflicht),
- sozialrechtliche Benachteiligungen für Asylbewerberinnen, Asylbewerber
und Geduldete durch das Asylbewerberleistungsgesetz, die zu einem Leben
unterhalb des Existenzminimums führen,
- das (faktische) Arbeitsverbot für Asylsuchende und Geduldete,
- die Isolation von Flüchtlingen in separaten Lagern
- die gezielte Kontrolle dunkelhäutiger Menschen in der Öffentlichkeit
Eine Politik, die Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten/innen
verhindern will, muss die Betroffenen im Rahmen einer aktiven
Integrationspolitik vom ersten Tag an in die Gemeinden einbeziehen. Die
Abschreckungsmaßnahmen, die vor Jahren eingeführt wurden, um Flüchtlinge
durch eine möglichst restriktive, trostlose Gestaltung der
Lebensbedingungen aus Deutschland zu vertreiben, sind bis heute nicht
überwunden. Sie sind Teil des Problems des Rassismus in Deutschland.
gez. Kai Weber
* Die Studie ist abrufbar unter
http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2007/08/ru-112-adg.pdf