Gazale Salame - Eine Flüchtlingsgeschichte
Gazale Salame – die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie
Seit mittlerweile fast zwei Jahren befindet sich die im Februar 2005 aus dem Landkreis Hildesheim abgeschobene junge Frau Gazale Salame mit zwei kleinen Kindern in einem Ghetto bei Izmir in der Türkei. Ihr Mann Achmed Siala lebt hier mit den beiden älteren Töchtern hier und kämpft darum, dass seine Frau und seine Kinder zu ihm zurückkehren können. Der Fall bietet einen tiefen Einblick in die Abgründe deutscher Ausländerpolitik. Die Geschichte handelt von dem Leid einer Flüchtlingsfamilie und von einem Innenminister, der auszuloten versucht, wie viel Unmenschlichkeit unser Rechtssystem zuzulassen bereit ist. Da die Hintergründe und Zusammenhänge im Streit um komplizierte rechtliche Fragen verloren zu gehen drohen, haben wir an dieser Stelle noch einmal eine kurze Zusammenfassung des Schicksals dieser Familie geschrieben.
Die Familien Salame und Siala gehören der Minderheit der Mahalmi an. Viele Angehörige dieser, ursprünglich in der Türkei angesiedelten, arabischen Minderheit wanderten seit den 1920er Jahren in den Libanon ein, da sie in der Türkei als Kurden galten und dort Repressionen ausgesetzt waren. Während des libanesischen Bürgerkrieges flohen viele Mahalmi aus dem Libanon. Auch die Familien Salame und Siala versuchten Mitte der 80er Jahre, der „Hölle von Beirut“ zu entkommen, und erhielten als „staatenlose Kurden“ im Rahmen einer Bleiberechtsregelung 1990 ein Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Gazale Salame und Ahmed Siala sind als kleine Kinder nach Deutschland gekommen, haben sich hier kennengelernt und nach islamischem Ritus geheiratet. Eine standesamtliche Heirat war ihnen bisher wegen fehlender Papiere nicht möglich. Mittlerweile hat die Familie selbst vier Kinder, die natürlich alle in Deutschland geboren sind.
Die Schwierigkeiten begannen, als der Landkreis in aufwendigen Recherchen nach Belegen dafür suchte, dass die Vorfahren der Familien Siala und Salame aus der Türkei stammen, und fündig wurde: Die Eltern von Gazale Salame sind in der Türkei registriert. Zwar ist Gazale im Libanon aufgewachsen und als Siebenjährige nach Deutschland gekommen. Auch nach 17-jährigem Aufenthalt in Deutschland ist das aber nach Auffassung des Landkreises Hildesheim kein Grund, ihren Aufenthalt weiterhin zu erlauben. Die Aufenthaltserlaubnis wurde im Jahr 2000 eingezogen und die Abschiebung angedroht.
Eine Durchführung dieser Abschiebung erschien den Behörden jedoch problematisch, solange ihr Ehemann Ahmed Siala eine Aufenthaltserlaubnis besaß. Daher bemühte sich der Landkreis, auch für Achmed Siala türkische Vorfahren zu finden. Am 15.04.2001 wurde auch ihm die Aufenthaltserlaubnis mit der – vom Gericht später als „äußerst dünn“ bezeichneten – Begründung entzogen, sein Vater sei in der Türkei unter einem anderen Namen registriert. Nach erfolglosem Widerspruch klagte Ahmed Siala am 01. September 2003 mit Erfolg – das Gericht ordnete die aufschiebende Wirkung an. Dennoch wurde Ahmed Siala nun nur noch „geduldet“.
Am 10. Februar 2005 lässt die Ausländerbehörde die zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Gazale Salame in die Türkei abschieben. Die Polizei überrascht die schwangere Frau in ihrer Wohnung, während ihr Ehemann gerade die Töchter Nura und Amina (7 und 8) zur Schule bringt. Zur Begründung verweist der Landkreis darauf, dass auch ihr Ehemann nur eine Duldung besitze und die Familientrennung daher nur vorübergehend erfolge. Das Verwaltungsgericht akzeptiert diese Begründung in dem sofort angestrengten Eilverfahren. Allein mit der kleinen Tochter Schams (1) kann Gazale nichts gegen die Abschiebung ausrichten. Am Abend liegt sie bereits bei der Istanbuler Flughafen-Polizei auf dem nackten Betonfussboden, ohne ihren Mann und die beiden Töchter noch einmal gesehen zu haben.
Zwei Tage später erst kann Gazale bei Bekannten der Eltern in Izmir unterkommen. Anschließend muss sie in eine kleine Unterkunft mit zwei Zimmern im Obergeschoss eines nicht isolierten, modrigen Hauses ziehen. Da sie einer arabischen Minderheit angehört, wird sie in der Türkei argwöhnisch betrachtet, ist Anfeindungen durch Nachbarn und Belästigungen von fremden Männern ausgesetzt. Unter diesen erbärmlichen Umständen kommt am 31. August 2005 ihr Sohn Ghazi zur Welt.
In Gazales Heimat Hildesheim wird die Botschaft ihrer Deportation mit Erschrecken aufgenommen.
Das Auseinanderreißen einer jungen Familie, die Situation des Vaters und der Töchter, die nach Hause kommen und das Verschwinden der Mutter und der kleinen Schwester feststellen müssen, ruft spontanes Mitgefühl vieler Menschen und Empörung gegenüber der Ausländerbehörde hervor.
Dieselbe gibt sich allerdings vollkommen ungerührt. Die Abschiebung der jungen Frau sei vollkommen rechtmäßig. Gazale habe bei ihrer Einreise nach Deutschland über ihre Identität getäuscht und ihre türkische Staatsangehörigkeit verschleiert, so der Landkreis in einer Presseerklärung.
Schon diese Begründung, die eine Siebenjährige der absichtlichen Täuschung bezichtigt (wieviel deutsche Siebenjährige kennen eigentlich das Wort „Staatsangehörigkeit“?), ist nicht nachvollziehbar. Besonders fragwürdig erscheint sie angesichts der Tatsache, dass der Entzug des Aufenthaltsrechts von Ahmed Siala mehr als dürftig begründet war. Offensichtlich spekulierte die Ausländerbehörde darauf, dass die Abschiebung Gazales ihren Ehemann zu einer „freiwilligen Ausreise“ in die Türkei bewegen würde.
In vielen anderen Fällen wäre der Plan des Landkreises wahrscheinlich aufgegangen, und der Ehemann wäre seiner Frau in das ihm fremde Land, dessen Sprache er nie gelernt hat, gefolgt.
Aber Ahmed, der in Deutschland mit großen Begriffen wie Demokratie und Rechtsstaat aufgewachsen ist, entschließt sich, nicht klein beizugeben und für seine Rechte und seine Familie zu kämpfen.
Mit der Hilfe vieler Unterstützer schafft er es, den Fall an die Öffentlichkeit zu bringen und den Prozess weiter zu führen. Am 21. Juni 2006 entscheidet das Verwaltungsgericht Hannover zu seinen Gunsten: Ahmed kann keine türkische Staatsangehörigkeit nachgewiesen werden. Die Familie Siala lebte nachweislich mindestens seit Mitte der 1950er Jahre im Libanon. Ahmed Siala hat die Türkei nie betreten, alle Täuschungsvorwürfe gegen ihn und seine Familie sind unhaltbar. Der Landkreis wird angewiesen, über seine Aufenthaltserlaubnis neu zu entscheiden.
Landrätin Ingrid Baule kündigt daraufhin an, eine möglichst schnelle und unkomplizierte Rückkehr seiner Frau und seiner beiden Kinder zu ermöglichen. Sie schreibt persönliche Briefe an den Innenminister und bittet ihn dringend, eine Familienzusammenführung zuzulassen. Dies ist auch dringend geboten, denn nach Berichten aus der Türkei verschlechtert sich Gazales Situation zunehmend, sie ist depressiv und suizidgefährdet.
Doch die Landrätin und die erleichterten Unterstützer haben die Rechnung ohne den Wirt, Innenminister Schünemann, gemacht. Der weist den Landkreis kurzerhand an, gegen das Urteil Berufung zu beantragen, da es sich um einen „Präzedenzfall“ handele. Gegen daraufhin öffentlich laut werdende Vorwürfe erwehrt er sich in der lokalen Presse – er sei weder „eiskalt“ noch „erbarmungslos“, aber er müsse „eine rechtsstaatliche Lösung umsetzen“.
Da auch der Rechtsstaat nicht immer erbarmungslos ist, bekommt Herr Schünemann kurze Zeit später die Möglichkeit, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Nachdem Gazales Anwältin deren kurzfristige Wiedereinreise beim Verwaltungsgericht Hannover beantragt hat, schlägt der Richter am Verwaltungsgericht der Ausländerbehörde am 09. November 2006 vor, die Rückkehr aus verfassungsrechtlichen Gründen zu ermöglichen und Frau Salame sowie ihren Kindern eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG zu erteilen. Dies ist nach der Rechtsauffassung des Gerichts verfassungsrechtlich geboten, da der inzwischen 15 Monate alte Ghazi seinen Vater noch nie gesehen hat. Diese Zeitspanne der Trennung ist nicht mehr mit Art. 6 GG (Schutz der Familie) vereinbar, so das Gericht, da eine bisher nicht vorhandene Vater-Sohn-Beziehung die Entwicklung des Kindes nachhaltig stören kann.
Anstatt diesem richterlichen Hinweis zu folgen, bittet der neue Landrat Reiner Wegner den Innenminister um eine Stellungnahme, die erwartungsgemäß negativ ausfällt: Die Erteilung eines Aufenthaltsrechts an Gazale oder ihre Kinder komme „nicht in Betracht“. Verfassungsrechtliche Bedenken des Richters bezüglich der Familientrennung werden vom Innenministerium nicht geteilt. Denn für die Fortführung des Verfahrens müsse Herr Siala sich nicht in Deutschland aufhalten, er habe „jederzeit die uneingeschränkte Möglichkeit“, die Beziehung zu seinen Kindern in der Türkei aufzunehmen. Ahmed Siala sei somit „selbst für die Familientrennung verantwortlich“, so der keinesfalls eiskalte und erbarmungslose Innenminister. Der Landkreis schließt sich der Stellungnahme des Innenministers an und erklärt sich bereit, Ahmed Siala „bei der Beschaffung der notwendigen Ausreisepapiere zu unterstützen“.
Wovon aber sollte Achmed Siala in der Türkei seinen Lebensunterhalt finanzieren? Er spricht nicht einmal türkisch, und seine beiden Töchter gehen hier zur Schule. Auch sie sprechen nicht türkisch. Hier hat er eine Arbeit und könnte, wenn die Behörden ihn ließen, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie aus eigener Erwerbstätigkeit finanzieren.
Da der Innenminister in seinen Ausdrucksmöglichkeiten für Wärme und Erbarmen offensichtlich etwas unbeholfen ist, hilft das Verwaltungsgericht Hannover am 30. November 2006 etwas nach: Es verpflichtet den Landkreis Hildesheim, Gazale und ihren Kindern die Einreise zu ermöglichen und ihr eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Da das Verfahren von Ahmed Siala sich weiter in die Länge ziehen könne, sei eine Trennung das Familie nach Auffassung des Gerichts nicht mehr vertretbar. Gazale Salame und die Kinder sollen daher, so das Gericht, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, bis das Verfahren von Ahmed Siala abgeschlossen und entschieden ist, ob ihm ein Aufenthaltsrecht zusteht. Auch gegen diese Entscheidung erhebt der Landkreis Hildesheim auf Weisung des Innenministeriums Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht. Aufgrund der Weigerung der Behörden, der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu entsprechen, hat die Anwältin Silke Schäfer nunmehr die Verhängung eines Zwangsgeldes in Höhe von 15.000 Euro beim Gericht beantragt, aber auch dies scheint die Behörden nicht zu beeindrucken.
Die Verantwortlichen führen ein Rückzugsgefecht um jeden Meter, und es ist nicht ersichtlich, dass der Innenminister beim Tranchieren der Gänseleber über den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes nachdenken und sich zu menschlichen Entscheidungen durchringen wird. Der politische Fall Gazale Salame geht also in die nächste Runde, während sie selbst nichts tun kann als auszuharren und zu hoffen, dass der Winter in Izmir weniger streng ist als der Innenminister in Niedersachsen.
gez. Bastian Wrede und Kai Weber
Flüchtlingsrat Niedersachsen
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